Nachdem im vergangenen Blogeintrag ziemlich viel aufregendes geschehen ist, meist allerdings in unerfreulichem Sinn, ist die Tage darauf bis jetzt kaum etwas dergleichen passiert. Mit dem hochbetagten Freund gab es weitere lange Gespräche, weitere Ausflüge in die Umgebung und abends ein Glas Wein - so auch am Mittwoch, 06. August.
Am Donnerstag kam kurzfristig eine Freundin von ihm kurz zu Besuch, bei der mir auffiel, während ich mit ihm wie mit einer ehrwürdigen Respektsperson umgehe und sein umfangreiches Wissen wertschätze, dass sie ihn, vielleicht eher unbewusst, oder vielleicht war es auch nur mein Bauchgefühl, eher wie einen tattrigen alten Mann anspricht, den man nicht immer für voll nehmen muss und manchmal fast wie ein Kind behandeln kann. Überraschend war für mich vor allem, dass er sich ihr gegenüber gewissermaßen auch in diese Rolle begibt - beim gemeinsamen Teetrinken war er meinem Gefühl nach ein anderer, als wenn er mit mir alleine ist. Mich hat dies ein bisschen erstaunt und auch ein bisschen bestürzt. Ein Hauch dieses Gefühls kam mir auch am Freitag, als ich mit seinem Neffen telefonierte, der ihn in diversen Angelegenheiten vertritt.
Freitag Abend fuhr ich mit Schnellzug zu mir nach Hause, um Samstag für eine Doppelschicht bereit zu sein. Während Samstag normal bei der Klientin zuhause verlief, fuhren wir Sonntag mit ihrem Partner und Hund in die Niederlande, damit ihr Partner dort Tauchgänge machen konnte. Während der Rückfahrt von dort, Sonntag Abend, schreibe ich nun diesen Blogeintrag.
In der Nacht zu Montag kommt mir ein Gedanke erneut, der mich in verschiedener Form in diesem Blog bereits begleitet hatte, zB im Januar bei der Marokko-Reise, dort im Zusammenhang mit meiner Lektüre "Die Vermessung der Welt", aber auch in Bezug auf die 15-Jahres-Schritte taucht er auf, der Gedanke zur relativen Zeitempfindung: Inzwischen ist Montag, der 11. August (denn es ist bereits kurz nach Mitternacht). Vor nicht einmal zwei Wochen war ich mit Kind in meiner Region unterwegs mit Sommerrodelbahn, Übernachtung im Auto, Kirmes, vor etwa zehn Tagen kam mein Boot in den Industriehafen mit mehrtägigen Schwierigkeiten, vor nicht ganz einer Woche fuhr ich zu meinem hochbetagten Freund, musste mich zwar direkt einen Tag später erneut um mein Boot kümmern, war aber ansonsten durchgehend bei ihm, dann seit vorgestern wieder arbeiten, morgen bzw. später heute wieder bei diesem Freund... Während ich mit der Arbeit vor einigen Stunden in den Niederlanden war, fühlte sich die Episode im Industriehafen bereits zeitlich wie einen Monat entfernt an, die Ferien davor bei mir, zB am Rheinstrand, eher sogar wie zwei Monate entfernt. Ortswechsel tragen wohl maßgeblich dazu bei, dass wir durch grundsätzlich andere, neue Erfahrungen Zeit intensiver erleben, aber auch ein Wechsel des sozialen Umfelds trägt maßgeblich dazu bei. Einfach nur andere Sinneseindrücke und andere Tätigkeiten in der selben Umgebung mit den selben Menschen hätten diesen Effekt wohl weniger. Wahrscheinlich liegt es daran, dass in einer neuen Umgebung und/oder mit neuen Menschen um einen herum das Gehirn deutlich stärker sich umorganisieren, an neue Bedingungen anpassen muss und durch diese gravierenderen Veränderungen Zeit stärker erlebbar wird. Eine Überlegung aus der Physik, die meint, Zeit sei nur durch Veränderung bzw. Zunahme der Entropie wahrnehmbar, deutet meiner Ansicht nach in eine ähnliche Richtung.
Aber was bedeutet Entropie eigentlich? Mir kam dieses Wort immer als schwer erklärbar und damit auch schwer verständlich vor. Ich selbst habe Entropie als zunehmende Unordnung verstanden bzw. als Zustand, der automatisch oder zumindest ohne großen Aufwand erreicht wird und den umzukehren unwahrscheinlich viel Energie bedarf, wenn er nicht sogar als unumkehrbar erscheint. Dadurch ergibt sich eine (vermeintliche) Gerichtetheit von Entwicklungen, an denen sich Zeit im Sinne eines zeitlichen vorher und nachher erfahren lässt. Und so wie Raum für sich selbst ganz ohne Gegenstände nicht messbar zu sein scheint, so gilt dies möglicherweise auch für Zeit für sich allein ohne Entropie.
Vielleicht hat es auch mit Persönlichkeitsschichten, also dass wir je nach Situation und Umgebung in verschiedene Persönlichkeiten und Rollen schlüpfen, und mit Komfortzone zu tun, dass wir mit fremden/neuen/anderen Menschen und Orten, also in weniger vertrauten Situationen zunächst herausfinden müssen, wer wir in dieser Situation sein können und sein wollen, während wir dies in vertrauten Situationen bereits erprobt haben und schnell in die erprobten Rollen rutschen und dass dieser neue Vorgang uns mehr Aufwand und Energie kostet?
Auf dem Weg von der Arbeit zur Bahn - inzwischen ist die Doppelschicht ohne besondere Zwischenfälle vorbei (was schreibe ich da nur weiter in meinem Roman?) - lief ich an mehreren Kommunalwahl-Plakaten vorbei und dachte mir, wem dieser Menschen und Parteien, die so emsig Werbung für sich machen, würde ich denn wirklich vertrauen können - und vertrauen in welcher Hinsicht? Es wollen Interessen vertreten werden, ja, aber wessen Interessen und vor allem zu welchem Preis? Ich muss unweigerlich an Marc-Uwe Klings Passage zu Profitinteressen denken, die ich gerne hier erneut zitieren möchte: "Progressive Politik, die sich für soziale Gerechtigkeit und die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen einsetzt, muss zwingend Reichtum umverteilen und unsere Ökonomie umbauen, was eigentlich mehrheitsfähig sein sollte, da es eindeutig dem Wohl der Mehrheit dient, jedoch kommen die konkreten Maßnahmen stets den Profitinteressen einiger sehr mächtiger Akteure im In- und Ausland in die Quere, die deshalb seit Jahrzehnten, was sage ich, seit Jahrhunderten, selbst und mithilfe ihrer Interessenvertreter, damit meine ich liberale oder rechte Parteien, Medienkonzerne, Social-Media-Plattformen, Think Tanks, Lobbyvereine und Astroturf-Bewegungen, Front gegen diese Politik machen und in diesem Kampf nicht davor zurückschrecken rassistische, sexistische und sozialdarwinistische Ressentiments zu schüren, um die Wählerinnen und Wähler auf Irrwege zu führen, die der Allgemeinheit schaden, aber die Profitinteressen der Wenigen schützen." Und ich muss auch an meine moralische Grundlage denken, die ich bislang immer nur "so ungefähr" beschrieben und noch nicht konkret und schriftlich vollständig und klar ausformuliert habe - im Blog schrieb ich im Mai wie folgt: "Für mich selbst habe ich den Weg gefunden anzuerkennen, dass keine Existenz möglich ist ohne andere Existenzen zu beeinträchtigen. Schon allein wenn ich atme, nehme ich anderen ein Quäntchen ihrer Atemluft, ja allein schon wenn ich Raum einnehme, steht dieser von mir eingenommene Raum anderen nicht mehr zur Verfügung. Auch wenn dies nur theoretische Spielerei sein mag, lässt sich nicht leugnen, dass mein täglicher Konsum Ressourcen und Energie braucht und damit und auch ganz allgemein andere Lebewesen signifikant beeinträchtigt, unmittelbar durch meine Person, aber auch mittelbar durch die Strukturen, die ich nutze und denen ich angehöre. Wenn also Schaden zu verursachen grundsätzlich unvermeidlich ist, so möchte ich doch jeden Menschen für sich sich seiner Verantwortung stellen sehen, diesen Schaden auf ein verträgliches Maß zu reduzieren, wobei ich selbstverständlich zugestehe, dass ein lebenswertes Leben für viele nicht aus Askese besteht. Dennoch sollte die Gesellschaft dabei auch so etwas wie Obergrenzen individuellen Konsums definieren, vielleicht allgemein für Individuum und Umfeld gesunde bzw. verträgliche Konsum-Richtlinien. Ich schätze die individuelle Selbstentfaltung für sehr hoch ein, würde aber dennoch individuell und gesamtgesellschaftlich Grenzen der Unverträglichkeit definieren wollen, und ich glaube, wir haben einen Konsens, dass wir das Maß des Verträglichen oft weit überschreiten."
Allerdings kann Zwang ja eigentlich keine Lösung sein. Eigentlich. Ein Übermaß an sozial schädlichem, unmoralischem Verhalten kann aber auch nicht toleriert werden, also sind Sanktionen in solchen Fällen ja wohl legitim. Wer aber soll diese Sanktionen durchführen und dazu also ermächtigt werden, durch wen und auf welche Weise? Schnell kommt man hier auf eine Art politisches System, das zwar nicht unserem aktuellen gleichen muss, ihm aber dennoch nicht unähnlich sein wird, insbesondere auf kommunaler Ebene.
Persönliche Interessen, auch Profitinteressen, sind zunächst wohl legitim. Sie sollten allerdings nie so geartet sein, dass sie Schaden an anderen, an anderem Leben mehr als über ein erträgliches Maß hinaus verursachen, insbesondere nicht mutwillig und grundlos verursachen. Was dabei ein erträgliches Maß ist, kann bestimmt als allgemeine Obergrenze festgelegt und ansonsten individuell ausgehandelt werden. Auch andere in böswilliger Absicht übervorteilen zu wollen sollte als unmoralisch erachtet werden genauso wie Gier, Neid usw., prinzipiell, was als die sieben Todsünden bekannt geworden ist. Man möge sich also stets fragen, ob man selbst einen größeren Schaden erfährt, etwas nicht zu erlangen, als ihn die anderen Lebewesen erfahren, wenn man es erlangt oder zu erlangen versucht.
Inzwischen ist die Nacht von Mittwoch, 13. August auf Donnerstag und ich versuche die Überlegungen hier zu einem Punkt zu bringen.
Es wäre wünschenswert, all dieses, was ich in den vorherigen Abschnitten an positivem Verhalten zu formulieren versucht habe, von möglichst allen Menschen durch Erziehung, Verstand und vernünftige Einsicht aus eigener Motivation heraus angestrebt werden würde. Vielleicht braucht es eine Art Elite, die all dieses als Vorbild überzeugend vorlebt, und natürlich kommt man mit solchen Überlegungen schnell in Bereiche, in denen sich die großen Weltreligionen etablieren konnten und es ist sicherlich nicht leicht, in Konkurrenz zu ihnen zu treten. Aber ist das denn notwendig? Man könnte ja auch einfach ihre Inhalte nutzen und im Sinne dieser Überlegungen hier umdeuten.
Allerdings möchte ich auch mehr Skepsis und weniger Glaube, Recht zu haben, wie ihn ja insbesondere die Religionen vertreten. Ich meine es hier aber durchaus so, dass der individuelle Mensch seine Überzeugungen regelmäßig und auch gründlich infrage stellt und sie sich neu aufbaut, am besten im Austausch mit anderen, denen man natürlich gut zuhört.
Nun ja, ich bin müde und möchte den Eintrag beenden. Um die Passage mit den Wahlplakaten abzukürzen, so viel noch: Ich möchte gerne, dass es in der Politik wichtiger ist, das Wohl aller anzustreben und nicht nur einzelner Interessengruppen, insbesondere sie nicht gegeneinander auszuspielen, und ich wünsche mir Vertreter, die wie genannte Vorbilder sein können und die dasjenige, was zum Wohl aller erforderlich ist, in Wahrhaftigkeit erkennen und auch konsequent umsetzen. Aber nun ja, das ist wohl kaum mehr als Stammtischniveau. Vielleicht sollte ich mich eher zB an Platons "Staat" abarbeiten, oder an unserer Verfassung...
Inzwischen sind mein hochbetagter Freund und ich in München bei seiner sogar noch älteren Schwester. Den vorherigen Tag haben wir schön in der Umgebung von Stuttgart und Tübingen verbracht. In München werden wir wohl bis Samstag bleiben, Sonntag muss ich zu mir nach Hause fahren, um Montag auf Mittwoch zu arbeiten und direkt danach einen Anwalt in der Erbsache aufzusuchen. Bis Freitag bin ich dann frei und könnte zB zum Boot fahren, dann habe ich eine weitere Doppelschicht am Wochenende, bin Montag darauf wieder frei zB fürs Boot bis Donnerstag, arbeite auf Freitag und verbringe dann das Wochenende mit meinem Kind, wobei eine Geburtstagseinladung dafür angesetzt ist, dann ist der August vorbei. Einstein, Velo-Proa, 5-Minuten-Projekte, wo seid Ihr...?
Soweit...
Kommentare
Kommentar veröffentlichen