Heute ist Freitag, der 16. Mai, und ich sitze in der Bahn auf dem Weg nach Hause nach der Arbeit, einer 24h-Schicht, bin innerlich aufgewühlt vom Umgang mit Dunning-Kruger-Effekt usw. bei meiner Klientin. Sie bat mich diesen Morgen, sie zu unterstützen im Gespräch mit einem Kollegen, mit dem sie zwei oder drei zu bearbeitende Themen hatte. Sowas ist natürlich eine heikle Situation, die schnell Missverständnisse und Konflikte schaffen kann, daher bat ich sie im Sinne einer Sprechregelung mir mitzuteilen, welche Themen ich ansprechen und welche ich aussparen sollte. Um zu verdeutlichen, was beispielsweise wohl ein auszusparendes Thema sein könnte, nannte ich Alkoholkonsum zB während einer Urlaubsbegleitung - eines der Themen, die sie mit dem Kollegen hatte, war sein allgemeiner Alkoholkonsum und sie hatte ihn für eine Urlaubsbegleitumg vorgesehen. Sie war sofort heftig aufgebracht, wie ich denn überhaupt auf die Idee komme, gerade mit ihm Alkohol anzusprechen, und nannte mich mehrfach dumm deswegen. Meine Erklärungen, dass ich ein Beispiel für ein nicht anzusprechendes Thema im Sinne einer Sprechregelung nannte und in diesem Sinne auf weitere nicht zu besprechende Themen von ihr hoffte, konnte sie in ihrem Aufgebrachtsein nicht mehr anhören oder begreifen. Denn sie erzählt gern allen Kollegen alle möglichen Details über die anderen Kollegen, und es ist ja nur sinnvoll, dann festzulegen, worüber ich offiziell Kenntnis zeigen soll und worüber nicht.
Nun ja, als dann besagter Kollege zur Ablösung kam und sie meinte, sie wollte etwas mit ihm besprechen, fing sie direkt an, dass ich ihm hätte erzählen wollen, dass ich bei einer Urlaubsbegleitung Alkohol getrunken habe und dass sich ja nicht unter Kollegen darüber ausgetauscht werden solle, denn letztlich würden wir uns damit ja selbst schaden, da Alkohol im Dienst ja nicht erlaubt sei, und ich dachte nur, wie sehr kann man eine Situation auf den Kopf stellen und ein Problem schaffen, denn in meinem Versuch, sensible Themen auszuschließen, wo sie sogar noch heftigst bestätigt hatte, dass dieses Thema außen vor bleiben muss, hat sie es nun sogar explizit auf den Tisch gebracht. Und während sie mich dabei gerne als dumm darstellt, kann ich - oder will ich - dies nicht umgekehrt machen, habe aber zumindest klar und deutlich, hoffentlich so, dass zumindest der Kollege es verstanden hat, den Vorgang erklärt. Mental ist es dennoch anstrengend.
Ähnlich verhielt es sich bei einer anderen Situation diesen Morgen, als sie mich bat, ihr den neuen Verlobungsring anzustecken. Da bei ihm eine Seite Silber, eine Gold ist, fragte ich sie, wie herum sie ihn tragen möchte, und sie fragte zurück, ob ich das nicht wisse. Ich verneinte, deswegen würde ich ja fragen, und sie meinte, genauso wie am Vortag, und hatte schon eine Anschuldigung im petto, dass ich mir doch hätte merken müssen, wie herum ihr Partner ihn ihr aufgesteckt hatte. Ich verkniff mir zu sagen, dass sie dies doch eher hätte wahrnehmen müssen schon als er ihn ihr aufsteckte und als sie ihn danach betrachtete - währenddessen war ich übrigens nicht zugegen. Zum Glück blieb es hier nur bei der sich anbahnenden Anschuldigung, aber auch diese Situation hätte für mich mental anstrengend werden können.
Klar, im Nachhinein kann ich all dies abstreifen, es bekümmert mich dann nicht mehr - nun gut, aktuell schreibe ich darüber, also scheint es mich ja noch weiter zu beschäftigen, doch fühlt es sich inzwischen auch nicht mehr nach einer Anstrengung, sondern eher nach einer Kuriosität menschlicher Irrationalität an, die ich hier festhalte - und auch stellvertretend als Beispiel für so einige andere Aspekte, die meine Arbeit manchmal schwierig machen. Und wahrscheinlich ist mein Schreiben darüber, also dass mich diese Dinge anstrengen und ich darüber schreibe in einer Art, als würde ich verächtlich bis belustigend auf meine Klientin hinabblicken, für sich selbst auch schon eine menschliche Kuriosität, dabei empfinde ich eher Mitleid dafür, dass ihre persönliche Situation sie struktureller Benachteiligung aussetzt, die sich auch deutlich in ihrer Bildungsbiographie niederschlägt und sie wohl nicht die Grenzen ihres geistigen Horizonts erkennen lässt - allerdings erkenne ich die Grenzen des meinigen ja auch nicht, erkenne nur an, dass sie vorhanden und für andere wohl erkennbar sind. Allein schon, dass ich die beschriebenen Situationen als anstrengend erlebe, deutet ja deutlich auf mentale Grenzen meinerseits hin.
Doch nun möchte ich auf die vergangenen Tage zurückblicken.
Am Samstag, 3. Mai hatte ich den letzten Beitrag verfasst. Die Doppelschicht bis Montag machte ich noch fertig, danach wollte ich mich während vier freier Tage um diverse Punkte kümmern. Die Wagenanmeldung hatte sich durch den gescheiterten Versuch der Online-Ummeldung deutlich erschwert, denn nun mit gebrochenen Siegeln auf den Nummernschildern war nur noch die Meldestelle in Landshut in der Lage, den Wagen abzumelden. Möglicherweise hätten die Ämter dies intern regeln können, zumindest deutete die Behörde in Landshut dies an, doch meine Behörde vor Ort beharrte mit viel Hin und Her darauf, dass ich den Fahrzeugschein per Post nach Landshut schicken müsse, was ich dann auch tat. Montag Abend hatte ich eine Essensverteilung, die ich versäumt habe, am Dienstag hatte ich eine weitere, die ich tatsächlich durchführte. Im Proa-Bau habe ich Dienstag tatsächlich mein erstes 3x5-Element erstellt und bin mit dem Ergebnis zufrieden bezüglich Machbarkeit und Stabilität, allerdings würde ich für ein Vehikel für die Hochsee die 3x5-Elemente auf jeden Fall doppelt nehmen. Mein ehemaliger Langzeitgast konnte sein Gepäck noch nicht abholen und hat wieder versucht, mich um alle möglichen Zuwendungen anzubetteln. Donnerstag Nacht meinte er, er sitze wegen Rotlichtverstoß bei der Polizei und ich solle ihn abholen, sonst würde er Freitag einen Rechtsanwalttermin verpassen. Widerwillig - Freitag hatte ich eine weitere Schicht - suchte ich die vermutete Polizeidienststelle auf, nur um zu erfahren, dass dort niemand war. Später schrieb er mir, er habe so entsetzlich geweint, dass die Beamten ihn schließlich mit einer Verwarnung gehen ließen. Als er wenige Tage später, nach meiner letzten Wochenendschicht, die wegen Vertretung zu einer Doppelschicht wurde, wieder bei mir war, um Sachen zu tauschen, mich erneut anbettelte und ich ihn mit seinen häufigen Lügen konfrontierte, ließ er durchblicken, dass doch nur die Sache mit der Polizei gelogen war - während ich inzwischen denke, dass wahrscheinlich 80-90% seiner Äußerungen unwahr sind.
Sonntag am frühen Nachmittag nach der Doppelschicht traf ich eine alte Bekannte, Autorin, mit der ich mich über meine Romanprojekte austauschen und ein interessantes Gespräch über Sprachempfehlungen im Rahmen politischer Korrektheit führen konnte. Sie vertritt den Standpunkt, und da musste ich ihr unbedingt beipflichten, dass einfach nur Sprachempfehlungen zu geben, neudeutsch zu gendern usw. keine Probleme löse, sondern dass man an die diskriminierenden Strukturen, die sich durch diskriminierende Sprache ausdrücken, heranmuss. Beispielsweise hilft es nur wenig gegen Rassismus, neue Wortschöpfungen wie "People of Color" in Umlauf zu bringen, wenn weiterhin rassistische Strukturen und Denkmuster vorherrschen - ich habe inzwischen schon öfter "PoC" in verächtlicher Weise verwendet gehört und gelesen. Ich für meinen Teil denke, dass wir vielleicht gar nicht erst ethnische Merkmale, insbesondere Hautfarbe, als Referenz auf eine Personengruppe verwenden sollten - dazu unten mehr - und ich glaube, dass sprachliche Sensibilisierung sehr wohl etwas bewirken kann, dass Antidiskriminierung allerdings dabei nicht stehen bleiben darf.
Diese Woche Montag dann konnte ich mit zugedrücktem Auge - mein Auto war inzwischen in Landshut abgemeldet, aber mein alter Fahrzeugschein noch dort - die Anmeldung abschließen und die neuen Nummernschilder anbringen. Dienstag früh hatte ich einen Arbeitseinsatz, zu dem ich mit meinem Wagen fuhr, da ich hoffte, Mittwoch mit knappem Zeitfenster zu einer weiteren Vertretungsschicht mit Wagen schneller zu sein als mit öffentlichen Verkehrsmitteln, was sich aufgrund von Baustellen, Staus und Parkplatzsuche als Trugschluss erwies - so ähnlich hatte ich es allerdings auch schon geahnt. Dennoch verlief die Vertretung ohne Probleme und abends konnte ich wieder eine Essensverteilung machen. Donnerstag auf heute, Freitag, hatte ich eine weitere Schicht, die insgesamt gut verlief und zu der die eingangs erwähnten Situationen gehören.
Später an diesem Tag werde ich mein Kind bei mir haben, wahrscheinlich mit Bibliotheksbesuch und Spielen am Abend, Samstag möchte sich mein Kind mit Freunden verabreden für einen Kinobesuch, Sonntag gehen wir wahrscheinlich wieder schwimmen, außerdem können wir durch mein Viertel ziehen und Sperrmüll begutachten und auch eigenen auf die Straße stellen.
Montag, erneut wegen Vertretung, werde ich eine weitere Doppelschicht auf Mittwoch haben, Freitag in einer Woche kommt mein Kind erneut zu mir, dann habe ich bis 6. Juni erstmal keine Termine. Um die Krankenhaus-Logistik, den Bootstransport und das Erbe muss ich mich weiterhin noch kümmern.
Mir kamen u.a. bei der Arbeit diverse andere Gedankenmuster in den Sinn, zB beim Abspülen: Wir nennen unsere Zeit die Moderne, doch was ich beim Abspülen tu, Tongefäße unter Wasser abreiben und trocken in eine Kiste stellen, die als Schrank an der Wand hängt, das ist von der Art her eine Jahrtausende alte Handlung, die so gar nichts modernes hat außer vielleicht die äußere Fassade, und wenn wir tiefer unsere alltäglichen Begebenheiten durchleuchten, werden wir schnell vieles andere finden, was uns modern vorkommt, weil wir es oberflächlich gerne so betrachten, was aber dem Prinzip nach ebenfalls Jahrtausende alte Tradition aufweist. In diesem Zusammenhang hatte ich eine Video-Idee, die ich hier noch nicht ganz ausbreiten möchte, um sie nicht zu verlieren, außerdem dachte ich schon öfter Erlebnisparks, LARP, Reenactment in der Richtung, um andere Zeiten in ihrer Fremdheit als doch nicht so fremd erfahrbar zu machen, allerdings natürlich mit der Einschränkung gemäß Thomas Nagel, dass wir nicht die anderen Zeiten genauso wie die Menschen anderer Zeiten erleben können, sondern nur wie wir selbst.
In Bezug darauf, was weißbar ist, stellte ich ja im letzten Eintrag ja einen Dialog hoffentlich sinngemäß dar. Später sah ich einen Busch, freute mich, wie hübsch er doch von kleinen weißen Blüten übersät ist, und fragte mich: Weiß der Busch, wie hübsch das mit den Blüten ist? Wahrscheinlich nicht, das gehört wohl nicht zum "Weißbaren", "Annehmbarem" eines Busches. Wahrscheinlich "weiß" er im Sinne von Erfahrungen, wann es ihm gut geht, wann die Zeit der Fortpflanzung kommt ("Blüten") und wann es Zeit ist zu sterben. Wahrscheinlich weiß er nicht, dass er ein Busch ist und was Busch, Blüte, hübsch usw. überhaupt bedeuten soll wie auch, was "etwas zu bedeuten" überhaupt sein soll.
Weiß aber vielleicht die Biene, wie hübsch das mit den Blüten ist? Wahrscheinlich auch sie nicht, aber immerhin wird sie aus Erfahrung wissen, dass dieses Muster den Weg zu Nektar, zu Nahrung weist. Sie wird zwar möglicherweise keinen Begriff von Blüten an sich, von Nektar oder von sich selbst haben, wohl aber davon, dass es Nahrung gibt und dass ihr Tagewerk nötig ist. Und sie kann per Bienentanz anderen zeigen, wo es diese Nahrung gibt.
Wir Menschen können leicht mit all diesen Begriffen jonglieren, können viel, sehr viel wissen.
Was aber, wenn es andere Instanzen von Wissen gibt, aus deren Perspektive unser menschliches Wissen, und damit meine ich durchaus nicht unbedingt nur meines, sondern gerne auch das eines Einstein beispielsweise, nur in etwa so wie das der Biene für uns erscheint, oder gar wie das des Busches für uns, wo wir uns fragen, ob ein Busch so etwas wie Wissen überhaupt haben kann? Wir tendieren dazu uns als Krone der Schöpfung zu sehen, kurz davor, die letzten Rätsel der Welt zu lösen. Vielleicht ist das, was wir für die Welt halten, kaum größer als das, was wir glauben, was der Busch oder die Biene für die Welt hält. Vielleicht gibt es Geistes- und Bewusstseinszustände und anderes, wofür wir keine Begriffe haben, in so gigantischem Ausmaß, dass unsere geistigen Fähigkeiten viel zu begrenzt sind, sie überhaupt auch nur erahnen zu können. "Gnothi seauton" und "oida ouk eidos" - erkenne Dich selbst und wisse, dass Du nichts weißt. Jede:r von uns, selbst jemand wie Einstein, weißt Symptome des Dunning-Kruger-Effekts auf, derer man sich nicht bewusst ist, andere aber schon.
Tatsächlich gehört das Glasperlenspiel zu derjenigen bekannteren Hesse-Literatur, die ich leider doch nicht habe; nun ja, ich habe nur vier oder fünf Bände von ihm und werde es mir also besorgen müssen. Beim Thema Macht kam mir ein weiterer Gedanke: Nach wie vor überwiegen die Gründe, Monarchie selbst eines weisen, guten, uneigennützigen Königs abzulehnen. Allerdings sehe ich auch, dass Anarchie wohl nur in einer kleinen Gruppe von Menschen, die sich alle gut kennen und sich gegenseitig vertrauen, funktionieren kann. Ohne mich jetzt intensiver mit der römischen Republik befasst zu haben, erscheint mir deren Prinzip, dass aus den Reihen der Gemeinschaft, diese modern erweitert auf alle Personen, für befristete Zeit ein Gremium erwählt wird, ebenfalls durch alle Personen. Nun ja, so in etwa haben wir dies ja heute, dennoch würde ich daran einiges ändern wollen, mindestens natürlich den Einfluss finanzstarker Lobbyisten reduzieren... Je mehr ich darüber nachdenke, finde ich, ist unser aktuelles System zumindest von der Idee her gar nicht verkehrt und bräuchte wohl nur immer wieder mal hier und da ein Drehen an Korrekturschrauben. Ich hätte gerne die Breite der Gesellschaft mehr abgebildet im politischen Alltag, nicht nur überwiegend gutverdienende Rechtsanwälte und sonstige Akademiker usw. und hätte auch mehr echte Bedürfnisse der Mitte der Gesellschaft und nicht nur überwiegend der finanziellen Oberschicht berücksichtigt, hätte gerne ein stärkeres Gewicht in Bildung allgemein und in politischer im Speziellen und erwarte mir in diesem Zusammenhang größere Populismus- und Extremismus-Prävention, dann durchaus auch mehr Volksentscheide (unter aktuell herrschendem Populismus allerdings eher nicht), hätte gerne deutlich mehr Transparenz und Regularien bei Lobbyismus und auch allgemein bei politischen Entscheidungsfindungen. Im Allgemeinen bin ich dankbar, dass weise Köpfe unsere Demokratie ins Leben gerufen haben und täglich daran arbeiten, dass sie erhalten bleibt und sich vielleicht sogar entwickelt.
Inzwischen ist übrigens Montag, 19. Mai und ich bin nach einem schönen Wochenende mit meinem Kind wieder auf der Arbeit für 48 Stunden. Mit Kind war ich nach dem Bibliotheksbesuch Freitag auf Samstag mit meinem Auto am Rhein bei einem schönen Spielplatz, wir haben im Auto übernachtet, allerdings ohne Matratze nur mit ein paar Decken war dies recht ungemütlich und wir haben beschlossen, dass da ein besseres Bett rein muss. Samstag dann waren wir mit dem Longboard in der Stadt unterwegs und nachmittags traf sie sich mit Freunden für einen Kinobesuch. Sonntag waren wir wieder im Schwimmbad und inspizierten den Sperrmüll in meiner Nachbarschaft, wo wir genügend Baumaterialien für den Bettenbau im Auto finden konnten. Nach der Arbeit werde ich damit zu bauen anfangen, es ist bereits alles ausgemessen und vernünftig geplant.
Mein Ingenieur-Freund, mit dem ich mich derzeit gelegentlich über meine Proa und über weitere Themen austausche, erzählte mir vor einigen Tagen davon, dass er an einem Akku-Projekt arbeitet. Dadurch angeregt, kamen mir diverse Ideen. Ein Akku-System benötige ich für meine Proa bzw. allgemein für mein Nomadentum ja auch. Leere PET-Flaschen hätte ich so oder so bei mir, also würde ich, ähnlich wie es Corentin auf der "Nomade des Mers" zeigt (aktuell strahlt der TV-Kanal arte die Episoden wohl wieder aus bzw. führt sie wieder in seinem YouTube-Kanal), alte Akkus öffnen, die einzelnen Zellen testen und in einer vernünftigen Weise miteinander verschaltet wasserdicht in Flaschen unterbringen, mit wasserdicht nach außen geführtem Kabelanschluss. Diese dann anwendungsabhängig in Serie oder parallel miteinander verbunden und per Solarpaneele aufladbar, das, so stelle ich es mir vor, müsste eine flexible, für diverse Anwendungen geeignete Stromquelle ergeben. Des Weiteren stellte ich mir vor, dass ich diverse andere Techniken in Flaschen würde unterbringen können, für einen Solarofen habe ich bereits einige interessante Varianten gesehen, aber wie wäre es mit Pflanzen und Insektenzucht, mit Gasgewinnung aus Biomasse, mit einem Salzwasserdestillator, mit Nahrungsmitteln und nicht zuletzt natürlich mit Wasser in Flaschen. Ich begann zu überlegen, was denn generell eine sinnvolle, zweckmäßige Aufteilung der Flaschen sein könnte, und ich kam darauf, dass ich zB von 100 Flaschen à 1L 30 Flaschen "leer" als Ersatz halte, 20 Flaschen mit Trinkwasser, 15 Flaschen mit Essen (Reis, Linsen, Müsli usw.), 10 Flaschen mit Technik (zB 2 Akku, 1 "Elektrik", 1 Schrauben, 1 Drähte, 2 LED, 1 Ofen, 1 Destillator usw.), 5 Flaschen mit Kräuter/Gewürze/Medizin (in Beuteln an einem Band an einer Stange) und schließlich 20 Flaschen Diverses: 5 Insektenfarm, 5 Biomasse, 5 Abfall, 5 Wasserklärung, so ungefähr. Wenn ich im Nomaden-Anzug 30-45 Flaschen mitführe, wäre die Aufteilung dann entsprechend - aus diesen 30-45 Flaschen würde ich dann auch ein Mini-Kanu bzw. -Floß bauen können, mal sehen, das ist noch Zukunftsmusik. Zu lange sollte ich allerdings auch nicht warten, denn jünger werde ich nicht.
Hierzu kam mir ein anderer Gedanke: Ich sah kürzlich einen recht albernen Film mit Jackie Chan um einen Panda und ich überlegte mir, wie alt Chan womöglich sein könnte, vielleicht 15 Jahre älter als ich? An solchen 15er Schritten hielt ich mich noch eine Weile, dachte mir, dass in den ersten 15 Lebensjahren immens viel geschehen ist vom Säugling zum Jugendlichen, wahrscheinlich empfinden wir diese Phase als die mit Abstand längste, auch wenn wir uns nur noch an Bruchteile davon erinnern können. Betroffen gemacht hat mich allerdings die Erkenntnis, dass die Phase von 15 zu 30 genauso lang ist wie die von 30 zu 45, dass aber in meinem Leben zwischen 15 und 30 viel mehr geschah als jetzt zwischen 30 und 45 geschieht und dass dies möglicherweise zwischen 45 und 60, noch einmal genauso viele Jahre, noch einmal weniger werden wird. Nun ja, Jackie Chan ist wohl über 25 Jahre älter als ich.
Dann hat noch vor einigen Tagen mein hochbetagter Freund, inzwischen 90 Jahre alt, sich per Brief bei mir gemeldet: Er möchte auch dieses Jahr wieder versuchen mit mir eine kleine Reise zu unternehmen, außerdem möchte er sich mit mir zu einigen ihm recht neuen, kontroveren Themen wie zB Feminismus austauschen, für die ich ihm bereits einen Text geschrieben habe, den ich hier einfügen möchte:
Er schrieb von Einsamkeit und das verstehe ich so, dass er sich Gesellschaft wünscht, die er nicht hat, Einsamkeit, wie sie wohl im Alter häufig auftritt. Ich selbst bin auch recht viel für mich, genieße dies aber auch, aber vermutlich kann ich es so gut genießen, weil mein Alleinsein zum Einen durch die Arbeit, zum Anderen durch mein Kind und auch durch sonstige Situationen, zB durch “Couchsurfing”, also die Sache, bei der man bei Fremden, die man durch das Internet kennenlernt, auf der Couch übernachten kann, unterbrochen wird. Im Zuge meiner nomadischen Vorstellungen sehe ich allerdings auch die Erfahrung von mehreren Wochen allein für mich in der Wildnis zu sein als erstrebenswert, vielleicht vergleichbar zu Thoreau. Hinzufügen will ich noch, dass heutzutage die Kommunikation über das Internet zumindest für eine gewisse Zeit die Illusion von Austausch mit Menschen herstellen kann. Möglicherweise konnte in früheren Zeiten dies auch regelmäßiger Briefverkehr, allerdings fand dieser ja häufiger in Schriftsprache statt, während heutige Kommunikation über das Internet, so genannter Chat, häufig in gesprochener Sprache stattfindet. Dennoch ist natürlich eine rein schriftliche oder auch nur telefonische Begegnung von ganz anderer Qualität als eine von Angesicht zu Angesicht. Hier vermisse ich nicht die Begegnungen an sich, sondern die, bei denen man sich vom Gegenüber gesehen und verstanden fühlt. Mit Couchsurfern gelingt dies allerdings doch gelegentlich.
Er sprach ansonsten unsere Meinungsverschiedenheiten an, also möchte ich versuchen, die Themen, an die ich mich erinnere, hier aufzuführen:
Ich denke, ein solches Missverständnis resultiert daraus, dass man attestierte diskriminierende -Ismen (Rassismus, Sexismus, Ableismus, Klassismus, Speziesismus, Kultur-Chauvinismus, Antisemitismus, Faschismus…) zum Einen als absichtlich und böswillig begreift statt strukturell durch die Erziehung und gesellschaftliche Prägung unbewusst angeeignet, und zum Anderen als Schandfleck betrachtet, den man sich nicht selbst attestieren, geschweige denn von anderen attestiert bekommen möchte, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf, sozusagen. Wir Menschen neigen wohl gern zu Selbstgerechtigkeit und verteidigen gerne auch vehement unser Ansehen gegen jeden vermeintlichen Makel.
Bei einer Kontroverse zwischen uns ging es um Menschen mit dunkler Hautfarbe. Ich hatte erst kürzlich ein Streitgespräch deswegen mit einer meiner Schwestern, die sich sehr angegriffen fühlte, als ich ihr sagte, wenn sie von “den Schwarzen” spreche, sei das rassistisch, denn, so verteidigte sie sich, würde sie damit ja nichts negatives über diese Menschen ausdrücken, sondern nur neutral ein Merkmal ansprechen. Ungefähr so ähnlich erinnere ich mich an eine Konversation zwischen ihm und mir, als wir uns voriges Jahr zum Afrika-Festival mit meinem Kind trafen.
Meiner Schwester versuchte ich ihren Irrtum folgendermaßen aufzuzeigen: Es gibt nicht “die Schwarzen” als Gruppe genausowenig wie es nicht die Gruppe der “Krummbeinigen” oder der “Abstehohrigen” gibt. Eine dunkle Hautfarbe zu haben fasst individuelle Menschen nicht per se in einer Schicksalsgemeinschaft zusammen, nur der Rassismus tut dies. Ähnliches gilt übrigens auch in gewisser Weise für Behinderte oder auch für Hochbetagte. Menschen, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind so, wie meine Mutter oder meine Klientin, teilen zwar die Erfahrung von Barrieren in unserer Gesellschaft, sind ansonsten aber individuelle Menschen, und wenn man Sehbehinderung, Hörbehinderung, Lernbehinderung usw. hinzunimmt, sind auch die jeweiligen Barrieren fast so individuell wie die Menschen selbst, so dass sie unter einem Label zusammenzufassen meistens wenig Sinn ergibt, nicht viel mehr aussagt als einfach nur, dass diese Menschen Benachteiligung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft erfahren. Gleichzeitig fühlen sich diese Menschen durch dieses Label nicht unbedingt als ebenbürtig gesehen. Und bei Hochbetagten sind außer der großen Zahl an Jahren viele Eigenschaften in hohem Maße individuell, so dass auch hier eine Zusammenfassung oft wenig hilfreich ist.
Bei der Hautfarbe, möchte ich sagen, ist der Irrtum der Zusammenfassung aber ja noch viel eklatanter, denn worauf verweist denn die dunkle Hautfarbe noch, außer auf die Hautfarbe? Welche Eigenschaften verbindet Menschen mit dunkler Hautfarbe und unterscheidet sie von allen anderen? Mir fallen nur welche ein, die durch strukturellen Rassismus geschaffen wurden. Menschen mit dunkler Hautfarbe weisen meiner Ansicht und Erfahrung nach genau die selbe Bandbreite individueller Eigenschaften auf wie alle anderen Menschen auch. Ich bleibe dabei: Von den “Schwarzen” zu sprechen ist in keiner Weise gerechtfertigter als von den “Krummbeinigen” oder den “Abstehohrigen” zu sprechen. Wenn man es allerdings tut, finde ich, reproduziert man nur in unserer Gesellschaft etablierte rassistische Strukturen. Und ich will ja nicht leugnen, dass es die Eigenschaft gibt, eine dunkle Hautfarbe zu haben, die man meinetwegen, wenn auch farblich nicht ganz richtig, als “schwarz” bezeichnen kann. Mir geht es darum, dass es die Gruppe der Schwarzen nicht sinnvoll gibt und dass die Zusammenfassung als Gruppe gewissermaßen als Schicksalsgemeinschaft sogar problematisch ist.
Eine weitere Kontroverse zwischen uns bestand bezüglich Frauen, Feminismus, Sexismus, wobei ich auch LGBTQ zu diesem Themenbereich hinzufügen möchte als Identitätsthematik zu (sozialem und biologischem) Geschlecht und sexueller Orientierung. Vielleicht aber zunächst eine Begriffsklärung auf der Basis, wie ich selbst sie verstanden habe:
- Frauen sind Menschen, die sich selbst als Frauen identifizieren.
- Feminismus entstand ursprünglich aus der Frauenrechtsbewegung und sieht sich inzwischen, zumindest derjenige Feminismus, den ich meine und selbst verfolge, als allgemeines Bestreben, soziale, strukturelle Privilegien zu erkennen und aufzulösen. Dabei resultieren die meisten der Privilegien und strukturellen Benachteiligungen, die der Feminismus angehen möchte, aus der Vorherrschaft des Patriarchats, der Dominanz des allgemein Männlichen, insbesondere, salopp gesagt, des “alten weißen Mannes”. Wenn wir, übrigens auch ich, uns ohne weitere Eigenschaften den Prototypen des Menschen vorstellen, erscheint den allerallermeisten von uns, egal ob Mann oder Frau, ein Mensch männlichen Geschlechts im Bewusstsein. Wir verstehen, bewusst und auch unbewusst, männlich als das Normale und weiblich als das Besondere, das andere, die Variante, was ich für einen tief verankerten Irrtum halte; hierzu später mehr, auch biologisch und weiter sozial betrachtet.
- Sexismus wird gelegentlich als auf Geschlechtsverkehr bezogen missverstanden, weil Sex im Wort vorkommt. Es geht aber nur darum, dass Menschen aufgrund des Geschlechts benachteiligt werden. Dir als Lateiner wird das klar gewesen sein.
- LGBTQ: Lesbian, gay, bi, trans, queer (gelegentlich auch LGBTQ+ mit Plus für alle weiteren, gelegentlich auch nur LGBT), damit sind, historisch gewachsen, die Gruppen zusammengefasst, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung (lesbisch, schwul, bisexuell) und inzwischen auch aufgrund ihrer Geschlechtsidentität (Transsexuelle) sowie wegen weiterer sexueller Praktiken und Beziehungsformen, die von der Mehrheitsgesellschaft als unnormal bis abartig, als “queer” erklärt werden (Rollenspiele, Sadismus, Masochismus, Polyamorie und vieles, vieles mehr…) sowie auch solche, die sich als asexuell betrachten. Man kann durchaus sagen, dass mit der Zeit der Oberbegriff immer verwaschener und auch widersprüchlicher wurde, weil sich inzwischen teils auch Menschen als queer bezeichnen, übertrieben gesagt, die mehr als die Missionarsstellung im Bett praktizieren, die aber ansonsten homosexuelle und transsexuelle Menschen verachten und Frauen strukturell benachteiligen. Ein aktueller großer Streitpunkt sind Transfrauen: Manche Feministinnen meinen, Männer würden sich zu Frauen erklären, um dann in Frauenschutzräume (Umkleiden, Toiletten) einzudringen, solche Feministinnen werden von den anderen Feministinnen und Feministen als TERF bezeichnet, als “transsexuals excluding radical feminists”, ein negativer Kampfbegriff, während letztere meinen, eine Transfrau erfährt bereits massive Zurückweisung, dass kein Mann, der sich weiterhin als Mann versteht und Frauen ausbeuten möchte, diese Identität annehmen möchte. Wenn Männer in Frauenumkleiden und Toiletten eindringen möchten, dann tun sie dies einfach so ohne den Umweg einer Veränderung der Geschlechtsidentität.
- Soziales Geschlecht ist das Geschlecht, das die Gesellschaft einem Menschen aufgrund diverser vor allem äußerer Merkmale zuschreibt. Hier findet derzeit eine Wandlung statt, die die Mehrheitsgesellschaft noch nicht anerkennen möchte. Althergebracht ist der Ansatz, aufgrund primärer Geschlechtsorgane, Vulva und Penis, auf die grundsätzliche Fähigkeit zur Befruchtung und zum Befruchtetwerden und damit auf männlich oder weiblich zu schließen, hermaphrodite Menschen, so genannte Zwitter, wurden dabei als Anomalie erkannt, teilweise sogar im Säuglingsalter durch operative Eingriffe vermeintlich “korrigiert”, mit diversen erwartbaren Komplikationen.
- Biologisches Geschlecht wird oft an der Art der primären Geschlechtsorgane festgemacht, wobei dies ja durch operative und auch durch hormonelle Eingriffe geändert werden kann, weswegen dabei inzwischen mehrheitlich auf die Chromosomen XX sowie XY verwiesen wird. Teilweise wird dabei anerkannt, dass es chromosomal in seltenen Fällen auch XXX, XXY, XYY uvm. geben kann, aber auch diese werden als Anomalie, als Fehler betrachtet.
Hier möchte ich nun zwei meiner Hauptstützpfeiler meiner eigenen Auffassung zum Thema Geschlecht anführen:
Die Norm für Chromosomen aller Lebewesen ist, dass sie paarweise als möglichst exakte Kopien auftreten, so dass bei der Zellteilung, die zum Grundprinzip zellulären Lebens, also alles bislang bekannten physischen Lebens gehört, jede Zellhälfte einen kompletten Chromosomensatz zur Verfügung hat, den sie dann für die nächste kommende Teilung wieder zu kopieren bestrebt ist. Die ursprüngliche Variante, der Prototyp, ist somit diejenige, die XX trägt, also die, die wir als Frau, als weiblich verstehen. Man weiß heute sehr gut, dass das y-Chromosom in der Entwicklung des Lebens später erschien, durch Mutation, im Prinzip dadurch, dass von einem ursprünglichen X große Teile abgebrochen sind. Wer mit XX geboren wird, ist allein dadurch bereits vollkommener, stabiler, auch emotional stabiler, resilienter, während die Exemplare mit Xy, weil weniger stabil, leichter in Schwierigkeiten kommen können. Die Frau ist demnach die Norm, das Eigentliche, während der Mann das Andere, die Variante ist, die aufgrund chromosomaler und Infolgedessen hormoneller Beeinträchtigung in größerem Maße für alle möglichen sozialen, gewalttätigen und kriminellen Probleme sorgen kann. Dass die Bibel, die Schöpfungsgeschichte, die katholische und andere monotheistische Weltanschauungen den Mann für den Abglanz Gottes, die Frau für den Abglanz des Mannes erachten, halte ich für einen fundamentalen Irrtum, der bis heute massiv im Weg steht für soziale Gerechtigkeit und Weltfrieden. Der feministische Angriff auf das Patriarchat, so verstehe ich es, will diesen fundamentalen Irrtum korrigieren. Es geht dabei ja nicht grundsätzlich darum, Männer als Individuen anzugreifen, sondern nur darum, eine Struktur anzugreifen und höchstens in diesem Zusammenhang auch Individuen, die diese Struktur verteidigen und erhalten wollen. Der Feminismus, den ich meine, begreift, dass das Patriarchat auch der Mehrheit der Männer schadet, begreift also, dass von einem Abbau des Patriarchats auch die Mehrheit der Männer profitieren würde.
Transsexuelle Menschen bezeichnen sich gelegentlich auch als “divers” im Kontext von der männlich/weiblich-Dualität; deswegen werden heute zB Stellenangebote beispielsweise als “Bäcker (m/w/d)” ausgeschrieben mit “d” für “divers”. Auch das “neudeutsche”, vielfach abgelehnte, teilweise sogar heftig abgelehnte Genderzeichen als Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt beispielsweise bei “Bäcker:innen” soll in ebendiesem Zeichen im Unterschied zu “Bäckerinnen und Bäcker”, was ja weiterhin auf die Dualität verweist, auch die diversen dieser Kategorie mitbezeichnen. Das Sternchen sieht hierbei wohl am hübschesten aus, der Unterstrich ist am deutlichsten zu sehen, während der Doppelpunkt im Wort am besten von maschinellen Textausgabeprogrammen verarbeitet werden kann, nämlich als so genannter Glottisschlag, wie er ganz natürlich in der Sprache zB wie im Wort “ausarbeiten” zwischen “aus” und “arbeiten” vorkommt - dies auch als kleiner Seitenhieb zum angeblichen Argument, dass die Gendersprache nur schwer zu artikulieren sein soll. Textausgabeprogramme würden “Bäcker:innen” wie “Bäckerinnen” mit Glottisschlag zwischen “Bäcker” und “innen” vorlesen, während bei “Bäcker*innen” bzw. “Bäcker_innen” “Bäcker Sternchen innen” bzw. “Bäcker Unterstrich innen” vorgelesen würden.
Ich verstehe, dass Geschlechts-Dualität häufig zumindest biologisch ein Irrtum, einfach nur eine soziale bzw. kulturelle Vereinbarung der Mehrheitsgesellschaft ist. Vom Prinzip her sind wir alle divers, wenn auch nicht alle in unserer Geschlechtsidentität. Ich möchte versuchen, dies wissenschaftlich leicht verständlich darzustellen. Dass XX-Chromosomen unmittelbar zu Weiblichkeit und XY-Chromosomen unmittelbar zu Männlichkeit führen sollen ist ein Irrtum. Es besteht hier allerdings doch eine sehr starke Korrelation, eigentlich fast so etwas wie eine kausale Verkettung, aber eben keine Exklusivität. XX wie auch XY bedingt ein gewisses hormonelles Umfeld, in welchem sich die Organe entwickeln. Dieses hormonelle Umfeld allerdings unterliegt sowohl insgesamt wie auch über seine zeitliche Präsenz verschiedenen Schwankungen. Bei den Hormonen bezieht man sich im Allgemeinen auf Testosteron und Östrogen, beide sind in allen Menschen vorhanden, wobei bei XX Östrogen gegenüber Testosteron und bei XY Testosteron gegenüber Östrogen dominiert. Auf diese Weise entwickeln sich alle unsere Organe unter dem dominierenden Einfluss entweder des einen oder des anderen Hormons, nicht nur unsere Geschlechtsorgane, und wegen der genannten Schwankungen kann es gut passieren, dass wir testosterongeprägte Muskulatur bei östrogengeprägtem Herzen oder testosterongeprägte Geschlechtsorgane bei östrogengeprägten Hirnarealen bekommen. Der Prototyp der Geschlechtsorgane, also derjenige, der entsteht, wenn weder Östrogen noch Testosteron sie prägen, ist übrigens derjenige, den wir als weiblich verstehen - ohne Prägung allerdings in der Regel unfruchtbar. Erst durch Testosteronprägung entstehen Testikel, sonst nicht. Während wir aber allgemein es nicht als Diskrepanz empfinden, wenn ein Mann, ein Mensch mit männlichen Geschlechtsorganen, eine weibliche Statur aufweist, und oft sogar nicht einmal, wenn eine Frau, ein Mensch mit weiblichen Geschlechtsorganen, eine männliche Statur nebst Haarwuchs im Gesicht aufweist, erleben wir es doch als Diskrepanz, wenn ein Mensch, ungeachtet seiner Geschlechtsorgane, die hormonelle Prägung seines Gehirns berücksichtigt für seine Geschlechtsidentität und dafür seine äußere Erscheinung dieser inneren Identität angleichen möchte.
Früher wurde allgemein akzeptiert, dass das Kollektiv dem Individuum seine Rolle diktiert. Seit der Neuzeit, dem Humanismus, hat sich die westliche Welt nach und nach darauf geeinigt, dass das Individuum seine Rolle selbst definiert und mehr und mehr Fremdzuschreibungen als soziale Zwänge ablehnt. Während dies mit Berufen begann und bald auch Nationalität liberalisiert wurde, stehen wir beide an dem Punkt der Liberalisierung weiterer Elemente der Identität, hier die geschlechtliche. Was ist das Problem dabei, unsere vermeintliche, eigentlich nur kulturell und strukturell geprägte Intuition bezüglich des Geschlechts einer anderen Person infrage zu stellen und der Person zuzugestehen, dies für sich selbst bestimmen zu dürfen? Was macht denn tatsächlich einen Mann zu einem Mann, eine Frau zu einer Frau, was in den meisten sozialen Interaktionen auch nur irgendeine Bedeutung hätte? Ja, ich leugne nicht, dass es im Kontext der Fortpflanzung relevante Aspekte gibt. Aber wir sind uns doch hoffentlich einig darüber, dass potentielle Fortpflanzung in den allerallermeisten sozialen Interaktionen keine Rolle spielt. Gut, und dann wäre noch die sprachliche Ebene, die zumindest derzeit durch Pronomina eine Dualität vorgibt. Aber wir können uns doch davon befreien, hier unsere eigene Deutungshoheit in den Mittelpunkt zu stellen, können unser Gegenüber einfach danach fragen, was passend ist - dadurch brechen wir uns keinen Zacken aus der Krone. Und ich traue uns zu, dass wir unter einem solchen neuen Ansatz immer noch in der Lage wären zu begreifen, wann wir es mit einer ernsthaften Identitätsberücksichtigung und wann mit einer Verhohnepiepelung zu tun haben. Hier übrigens eine Frage an Dich: Wenn Dein Gegenüber äußert, von Dir gerne als “Seine Hoheit” angesprochen werden zu wollen - würdest Du dies a) unter keinen, b) nur unter bestimmten oder c) unter allen Umständen berücksichtigen und warum? Für mich selbst, bei der Frage nach Pronomen, möchte ich diese Zuordnung eher sogar vermeiden. Ich leugne zwar nicht, männlichen Geschlechts zu sein als eine unter vielen weiteren meiner Eigenschaften, sehe allerdings nicht, inwiefern diese Eigenschaft gegenüber meinen anderen in alltäglichen Situationen von größerer Bedeutung sein soll, und um dies auszudrücken, wünsche ich mir in Kontexten, in denen gendersensibel kommuniziert wird, dass auf mich entweder mit meinem Namen oder mit “jene Person” verwiesen und auf binäre Pronomen verzichtet wird.
Allerdings ist mir durchaus klar, dass Sprache allein die strukturellen Probleme nicht lösen wird. Im Zusammenhang mit Rassismus wird “politisch korrekt” oft von “people of color” oder “PoC” gesprochen, allerdings erlebe ich nicht selten, dass “PoC” inzwischen auch beleidigend genutzt wird. Solange also rassistische Strukturen nach wie vor vorhanden sind, wird Sprache allein nichts lösen. Dennoch sollte man den Ansatz über die Sprache deswegen auch nicht vernachlässigen, denn die Sprache formt ja unser Denken und unsere Kultur.
Noch einmal zurück zu den -Ismen (Rassismus, Sexismus, Ableismus, Klassismus, Speziesismus, Kultur-Chauvinismus, Antisemitismus, Faschismus…): Es geht dabei ja, so wie ich es verstehe, um Ungleichbehandlung aufgrund irgendwelcher Merkmale. Rassismus habe ich versucht zu streifen, Sexismus auch, Ableismus eigentlich auch, der bezieht sich auf Ungleichbehandlung aufgrund körperlichen oder geistigen Vermögens, also aufgrund so genannter Behinderungen.
Antisemitismus ist eigentlich eine Sonderform des Rassismus, wobei er sich ja nicht rein auf ethnisch bedingte Merkmale, sondern eng auf eine bestimmte Abstammung bezieht durch alle Ethnien, Nationalitäten und Kulturen hinweg und nur dem Namen nach sich auf eine Ethnie und der Vorstellung nach auf eine vermeintliche Weltanschauung bezieht. Auch herrscht diesbezüglich größere Sensibilität in beide Richtungen vor, denn sowohl werden Äußerungen schneller als antisemitisch sanktioniert, die in anderen Kontexten unproblematisch erscheinen, als auch, dass Handlungen durch Menschen jüdischen Glaubens oder mit israelischer Identität schneller als problematisch erachtet werden als wenn andere genau das gleiche tun.
Mit dem Faschismus ist es ebenfalls etwas schwieriger, denn allgemein versteht man gerne darunter die Ideologie des Nationalsozialismus wie auch Mussolinis, doch kann man je nach Filterschärfe fast jede Ideologie als faschistisch sehen. Ich selbst habe es für mich so verstanden, dass Faschismus dann vorherrscht, wenn Andersartigkeit zu einer willkürlich definierten Norm institutionell bekämpft wird. Dabei ist darauf zu achten, dass im Sinne Carl Poppers Toleranzparadoxons Intoleranz zu bekämpfen, also antifaschistisch zu handeln, nicht mit Faschismus verwechselt werden darf, was bekämpfte Faschisten ja gerne als Opferrolle für sich annehmen. Gleichzeitig muss auch darauf geachtet werden, im weitesten Sinne nach Nietzsche, dass, wenn man Monster bekämpft, immerzu darauf achten muss, dabei nicht selbst zu einem Monster zu werden. Oft ist dies nämlich nur ein schmaler Grat und die Selbstgerechtigkeit vernebelt zudem noch gerne die klare Selbstreflexion.
Speziesismus ist recht einfach, denke ich: Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies soll rechtfertigen, ein Lebewesen anders zu behandeln als andere. Gerne berufen sich Veganer und auch Vegetarier darauf, allerdings halte ich sie für inkonsequent, denn auch Pflanzen sind Spezies, die einen respektvollen Umgang verdienen. Und auch wenn es unmittelbar einleuchten mag, dass man keine Tiere quälen und auch Haustiere wie Menschen aus brennenden Gebäuden retten soll wie auch, dass industrielle Massentierhaltung moralisch höchst verwerflich ist, leuchtet genauso ein, dass zu zögern, ob man bei einem Hausbrand besser den hochbetagten lahmen Menschen oder das junge gesunde Meerschweinchen retten soll, genauso moralisch verwerflich sein kann. Ich kam für mich selbst darauf, dass die meisten Menschen intuitiv nach dem gehen, wo sie aus ihrer eigenen, individuellen Perspektive eher eine Beziehung und größere Nähe vermuten. Mit Umweg über das Sprichwort, dass in einer Welt der Pferde auch die Götter Pferde wären, halten Menschen Säugetiere sich selbst ähnlicher als beispielsweise Insekten, und das lässt sich ja auch wissenschaftlich begründen, aber zB wird wohl im Allgemeinen ein Hund oder ein Schaf als näher betrachtet als eine Ratte, meiner Einschätzung nach, weil Hund und Schaf in ihren Dimensionen dem Menschen näher liegen. Und auch wird in einer Situation, in der ein Mensch nur einen von zwei anderen Menschen retten kann und den anderen zurücklassen muss, die Mehrheit eher denjenigen retten, zu dem sie größere Nähe vermuten. Hochintelligente und hochtechnologisierte Außerirdische, die in Gestalt von Insekten leben und die Erde besuchen, werden möglicherweise nicht die Menschen oder andere Säugetiere als erste Ansprechpartner betrachten. Und Wale und Delfine, die wir im Lehrbuch als Säugetiere begreifen, empfinden ja zweifellos viele von uns intuitiv trotzdem als Fische. Langer Rede kurzer Sinn: Alle Spezies komplett als gleichberechtigt zu betrachten und auch danach zu handeln wird für viele fragwürdige bis absurde Situationen sorgen, sogar für Verwerflichkeiten. Dass dem Menschen als “Krone der Schöpfung” alle anderen Lebewesen willkürlich unterworfen sein sollen ist allerdings genauso ein Irrtum. Für mich selbst habe ich den Weg gefunden anzuerkennen, dass keine Existenz möglich ist ohne andere Existenzen zu beeinträchtigen. Schon allein wenn ich atme, nehme ich anderen ein Quäntchen ihrer Atemluft, ja allein schon wenn ich Raum einnehme, steht dieser von mir eingenommene Raum anderen nicht mehr zur Verfügung. Auch wenn dies nur theoretische Spielerei sein mag, lässt sich nicht leugnen, dass mein täglicher Konsum Ressourcen und Energie braucht und damit und auch ganz allgemein andere Lebewesen signifikant beeinträchtigt, unmittelbar durch meine Person, aber auch mittelbar durch die Strukturen, die ich nutze und denen ich angehöre. Wenn also Schaden zu verursachen grundsätzlich unvermeidlich ist, so möchte ich doch jeden Menschen für sich sich seiner Verantwortung stellen sehen, diesen Schaden auf ein verträgliches Maß zu reduzieren, wobei ich selbstverständlich zugestehe, dass ein lebenswertes Leben für viele nicht aus Askese besteht. Dennoch sollte die Gesellschaft dabei auch so etwas wie Obergrenzen individuellen Konsums definieren, vielleicht allgemein für Individuum und Umfeld gesunde bzw. verträgliche Konsum-Richtlinien. Ich schätze die individuelle Selbstentfaltung für sehr hoch ein, würde aber dennoch individuell und gesamtgesellschaftlich Grenzen der Unverträglichkeit definieren wollen, und ich glaube, wir haben einen Konsens, dass wir das Maß des Verträglichen oft weit überschreiten.
Über den Kultur-Chauvinismus stolpere ich bei mir selbst oft. Ich vertrete im weitesten Sinn ein Weltbild von Humanismus und Liberalismus und bin mir nicht sicher, ob ich zu tief darin feststecke, um beides ausreichend als möglicherweise einfach nur willkürlich und nicht vermeintlich gut begründet zu erleben. Kultur-Chauvinismus verstehe ich als so etwas wie eine Art Selbstgerechtigkeit nicht nur auf individueller, sondern auf Gruppenebene. Es tut weh, sich eingestehen zu müssen, einen Irrtum gelebt zu haben, deswegen greift man zu allen möglichen Ausreden, Rechtfertigungen bis hin zu Ignoranz. Kognitive Dissonanz ist in diesem Themenbereich zuhause. Wahrscheinlich steht eine Art Selbstschutz-Reflex dahinter. Ich halte Demokratie, Menschenrechte, soziale Marktwirtschaft wie auch die deutsche Klassik für edle Perlen menschlicher Kultur, aber wie gesagt weiß ich nicht, ob ich diesbezüglich nicht sozusagen betriebsblind bin.
Klassismus, das ist das, womit sich der Klassenkampf auseinandersetzt, allerdings kann man den auch weiter fassen, möglicherweise sogar als so etwas wie den Oberbegriff zu allen anderen, wenn man versteht, dass jedes Individuum in jeder Gruppe versucht einen komfortablen Status zu erreichen und diesen nach Möglichkeit noch zu verbessern, sich also auf einer Art Gradmesser sozialer Ränge zu verorten, nach einem vermeintlichen Oben zu streben und einen vermeintlichen Abstieg zu befürchten. Intuitiv spürt man schnell, wer “seinesgleichen” sein könnte, zu denen man Schulterschluss sucht, weiß auch schnell, wer im Rang vermeintlich tiefer liegt und versucht sich gegen jene zu sperren, um nicht mit jenen und deren Rang verwechselt zu werden und streckt dabei nur zu gerne die Fühler zu den oberen Rängen aus in der Hoffnung durch diese aufzusteigen oder aber man greift sie an, um sie von ihrem Thron zu stoßen und sich selbst in diesen zu setzen. Othering, also andere auf ihre Andersartigkeit zu reduzieren und damit eine Andersbehandlung zu rechtfertigen ist wohl das grundsätzliche Prinzip von Diskriminierung bei allen genannten -Ismen und dementsprechend auch beim Klassismus. Ursprünglich ist mir der Begriff Othering im Zusammenhang mit postkolonialer Aufarbeitung begegnet, dann wohl im Spektrum des Kultur-Chauvinismus, wenn die Kolonien nehmende Gruppe Kolonialisierung aus ihrer eigenen vermeintlichen kulturellen Überlegenheit rechtfertigt, sinngemäß dass sie vermeintlich Unzivilisierten vermeintliche Zivilisation bringt, dabei allerdings oft beim Bekämpfen vermeintlicher Monster selbst zum größten Monster wurde - historisch lassen sich unzählige Beispiele finden. Hierbei waren die anderen die explizit nicht gleichen und auch nie gleich werden Könnenden so sehr sie auch Bildung, Sprache und sonstige Assimilation mit den Kolonialherren angestrebt haben, und die Anderen mit großem A waren die, die ihr Eigenes bewahren und sich gegen das koloniale Diktat auflehnen wollten, also othering vs. Othering, aber in beiden Fällen Ausschluss aus dem Eigenen. Mir waren entsprechende Seminare im Studium Augenöffner und ich habe nicht zuletzt begriffen, dass wir alle Othering betreiben auch zB dann, wenn wir das, was der Nachbar so tut, beurteilen, oder wenn wir die ältere oder die jüngere Generation nicht mehr verstehen wollen oder können oder auch, wenn wir allgemein andere Lebensentwürfe, Weltanschauungen, Ideologien und Moden beurteilen. Oft fällt uns schwer, bei uns selbst einen Irrtum zu suchen, wesentlich schwerer, als wir dies bei anderen tun. Inwiefern Diskriminierung im eigentlichen Sinne, also das (zunächst wertneutrale) Erkennen der Andersartigkeit im Anderen möglicherweise essentiell ist für die Entwicklung der eigenen Identität, das soll übrigens ja Gegenstand meiner immer noch ausstehenden Masterarbeit werden. Kosmopolitismus, wohlwollendes Interesse an allem Anderen, Fremden, könnte eine wünschenswerte Entwicklung sein, allerdings glaube ich, dass spätestens in Zeiten von Ressourcenknappheit und anderer Not wieder sehr relevant werden wird, wer zur eigenen Gruppe dazugehört und privilegiert wird und wer hofiert und wer verachtet wird. Denn erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Für die kommenden Tage bleibt zunächst, die aktuelle Doppelschicht fertig zu machen bis Mittwoch, dann erwarte ich einen neuen Gast für ein paar Tage, dafür muss ich noch etwas aufräumen, Mittwochabend genauso wie Donnerstagabend werde ich Essensverteilungen machen und am Freitag ist abends wieder mein Kind bei mir für das Wochenende. Außerdem möchte ich Mittwoch, Donnerstag und Freitag am Camperbett arbeiten. Ich habe eine Idee für einen Matratzenzuschnitt wie auch für einen Unterbau und habe die Materialien dafür ja schon besorgt. Ansonsten, Krankenhaus-Logistik, Bootstransport und Erbe habe ich ja oben schon als akute Punkte festgehalten. Für den Bootstransport habe ich heute eine Annonce auf einer anderen Plattform gestartet, für das Erbe habe ich heute einen Anruf vergessen, an den muss ich morgen denken, für die Krankenhaus-Logistik bleibt Mittwoch, Donnerstag und Freitag, allerdings kann und will ich ja den ersten Proa-Prototypen, zumindest ein Kanu, aus den 0,5er-Flaschen bauen. Hierfür könnte ich noch weitere 3x5-Elemente anfertigen in den kommenden Tagen, vielleicht auch, wie schon früher angedacht, unterwegs im Auto mit Kind dabei.
Soweit...
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