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Sinn des Lebens erfüllen?

Heute bewegen mich mal wieder, wie tatsächlich häufiger, Gedanken darüber, ob und wenn ja wie eine Biografie gelingt - oder scheitert - und ob und wenn ja wie dies mit dem Sinn des Lebens zusammen hängt und zu jeder Zeit im Leben, mindestens im erwachsenen, beurteilt werden kann und durch wen. Große Fragen, aber einer dem vulnerablen Narzissmus verdächtigen Person vielleicht willkommen.
Den Sinn des Lebens hatte ich schon an anderer Stelle versucht zu greifen. Ein älterer Artikel dazu in diesem Blog verweist eher auf den Versuch, göttlichen Sinn zu greifen und führt hier zu weit, daher versuche ich hier aus der Erinnerung zu umreißen, was ich meine:
Das Leben im Sinne von belebten Prozessen in Form von Organismen lässt sich grob dazu herunterbrechen, dass sowohl jedes einzelne Lebewesen sich selbst (Selbsterhaltung) als auch die einer bestimmten Art durch Fortpflanzung (Arterhaltung) ihre Art und damit im Prinzip das Phänomen Leben sich selbst erhält. Dies gilt bereits für einfachste prokaryotisch Einzeller genauso wie für komplexe Säugetiere, ja sogar für Viren, die zwar der Definition nach nicht leben, aber dennoch ihre Struktur fortpflanzen. Dies Frage nach dem Sinn des Lebens ist allerdings ja ein menschliches Phänomen und fragt nicht so sehr nach Naturgesetzen, sondern eher danach, welches menschliche Verhalten gut und richtig, also sinnvoll ist, und kann damit im Feld der Ethik verortet werden. Dennoch möchte ich sagen, dass diese Naturgesetze im Hintergrund wirken, wahrscheinlich häufiger, als uns als Menschen bewusst ist oder wir in Betracht ziehen würden, dass also vieles, was wir tun, unter dem Stern steht, unsere soziale Position zu sichern oder zu verbessern, um sowohl für unseren individuellen Fortbestand als auch für den unserer Gene im Sinne der Fortpflanzung bestmögliche Bedingungen zu schaffen. Hier können wir gern die maslow'sche Bedürfnis-Pyramide mit einbeziehen in dem Sinne, dass nach den Grundbedürfnissen nach Nahrung, sicherem Unterschlupf und sozialer Stellung noch solche nach Selbstverwirklichung kommen, wobei erstere wohl grundsätzlich das Überleben sichern, letztere dagegen die individuelle Rolle betreffen und deutlich mehr Wahlfreiheit bieten.
Um diese individuelle Rolle geht es wohl.
Man kann annehmen, dass Menschen mit gewissen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften geboren werden, die sich nur zu einem gewissen Grad pflegen lassen, außerdem sind Menschen in bestimmte sozioökonomische Rahmenbedingungen hineingeboren, auf die sie lange gar keinen und später nicht sehr viel Einfluss haben, wobei man sich fragen kann, ob aus der anfänglichen Unveränderbarkeit nicht spätere Veränderungserschwernisse resultieren im Sinne davon, dass durch erstere einige Rahmenbedingungen für später zementiert werden.
Ein Ausweg könnte sein, seine Rahmenbedingungen, Fähigkeiten und Charaktereigenschaften kennenzulernen und zu begreifen und seine Rolle innerhalb dieser Bedingungen zu definieren und zu finden; so wäre eine Biografie möglich, die aus der eigenen Erfahrung nur wenig Scheitern beinhalten sollte, aber vielleicht zu langweilig? Denn ein weiterer Weg könnte ja sein, nach dem Begreifen der aktuellen Rahmenbedingungen sie erweitern zu wollen sowohl in Bezug auf inneres Wachstum als auch auf die Sozioökonomie, also die Fähigkeiten zu erweitern, den Charakter zu verbessern und mindestens in Bezug auf die unteren und mittleren Stufen der Mahlow-Pyramide einen besseren Stand zu erreichen, wobei sich hier direkt die Frage stellt, ob dieses "besser" in einem "mehr" besteht oder aber darin, ein gesundes Maß an Zufriedenheit zu finden. Und dann ließe sich natürlich, Entwicklung berücksichtigend, eine Rolle anstreben, die außerhalb der aktuellen Möglichkeiten steht - je weiter außerhalb, desto höher ist dann das Potenzial, zu scheitern und Enttäuschung zu erleben. Es hilft also, neben dem Status Quo auch das Entwicklungspotential gut zu begreifen. Hier kommen vielleicht Optimismus oder Pessimismus zum Tragen bezüglich dessen, was man für erreichbar hält.
Es mag Biografien geben, in denen sich früh ein Ziel zeigt, das dann mit allem Fleiß zu erreichen versucht wird. Hierbei kann sich auf dem Weg das Ziel ändern, angepasst werden, oder der Weg kann Umwege nötig machen. Aber ein Ziel zu haben ist auf jeden Fall hilfreich, selbst dann, wenn es nicht erreicht wird, denn solange man sich überhaupt auf den Weg macht in Richtung eines Ziels, wird man ja irgendwohin kommen, vielleicht sogar ankommen.
Aber wann ist eine Biografie erfolgreich?
Ist für Nachwuchs zu sorgen, der Mündigkeit erreicht und seinerseits wieder für Nachwuchs sorgt ein Erfolg? Sicherlich. Ist eigene ökonomische Autonomie zu erreichen ein Erfolg? Sicherlich auch das. Hat man damit sich selbst verwirklicht? Das ist möglich, wenn man sich dies zur Hauptaufgabe gewählt und eine Rolle daraus gemacht hat. Allerdings bietet das menschliche Leben ja deutlich mehr Optionen und Potential, das man dann möglicherweise nicht wahrgenommen hat. Ist dies ein Problem? Nur, wenn man es als eines sehen will. Denn ein Kind, oder gar mehrere, großzuziehen, das kann durchaus eine anspruchsvolle Aufgabe sein. Wer nicht alles dem natürlichen Zufall überlassen will, sondern die Erziehung aktiv gestalten möchte, kann daraus eine erfüllende Aufgabe generieren. Und um ökonomische Autonomie zu erreichen gibt es zum Einen wohl verschiedene Maßstäbe, unter denen diese als erreicht gelten kann. Manche mögen das Erreichen von Lohnarbeit bereits dafür erachten, manche sehen erst erfolgreiches Unternehmertum oder Unabhängigkeit von aller äußerer Infrastruktur an dieser Stelle, manche vielleicht schon, wenn man erreicht hat, dass öffentliche Gelder einem zur Verfügung gestellt werden. Vielleicht ist es auch letztlich nur eine Frage der Selbst- und Fremdwahrnehmung bzw. der inneren Haltung. Letztlich müsste man vielleicht annehmen, je nach Standpunkt, dass entweder sehr viele Biografien scheitern, weil sie ihre wahre Aufgabe nicht erkennen und/oder nicht erreichen oder dass alle Biografien für sich selbst wertvoll und erfolgreich sind oder ein Weg dazwischen. Jedenfalls lohnt es sich, andere Menschen und ihre Entscheidungen auf ihrem Lebensweg nicht oder nicht zu vorschnell zu beurteilen, denn erstens weiß kaum jemand, wie sich der Weg eines anderen tatsächlich anfühlt, geschweige denn, der andere zu sein, und zweitens kann immer, auch im hohen Alter noch, eine bislang unscheinbare, "verirrte" Biografie noch "erblühen" - wobei "verirrt" und "erblühen" ganz absichtlich in Anführungszeichen stehen. 

Und ich?
Ich muss mich zu den verirrten Biografien zählen. Ich weiß und wusste nie wirklich, wohin mit mir, stattdessen finde ich mich zwischen vielen Möglichkeiten, die sich teils vehement widersprechen, hin und her gerissen. Ich fühle mich nicht wohl, zu einer Möglichkeit ja zu sagen, solange es sich so anfühlt, als müsste ich zu allen anderen nein sagen. Also bleibe ich in der Schwebe, in der ich zu allen "vielleicht" sage und zwischen den Türen stehen bleibe und komme damit am wenigsten voran, sondern werde nur älter. Fortgepflanzt habe ich mich (mehr schlecht als recht, möchte ich hinzufügen, wenn ich meine Rolle dabei betrachte), und ökonomische Autonomie habe ich auch (ebenfalls mehr schlecht als recht in Lohnarbeit). Aber habe ich mein Potenzial erkannt und entwickelt? Manchmal glaube ich, dass ich dabei bin. Manchmal glaube ich, dass ich sträflich viel Zeit verschwende. Immerhin versuche ich, aus vielen Möglichkeiten eine zu stricken, die viele zusammenfasst. Das ist sicherlich nicht optimal, denn damit komme ich weiterhin nicht in Bewegung, aber immerhin reduzieren sich einige Möglichkeiten, die ich nach und nach als verzichtbar erkenne, nachdem ich sie in die zweite Reihe schieben konnte. Mein Ziel kommt mir aber nach wie vor noch diffus hinter Wolken gelegen vor. Ich spüre ein starkes Streben, das mir sagt, mein Status Quo ist nicht das Ziel und nicht der Erfolg meiner Biografie. Was genau es schließlich ist, kann ich nur ahnen, kann mich dabei auch irren, aber immerhin bin ich gedanklich auf einem, nein, auf mehreren Wegen. Gleichzeitig werde ich älter und mich begleitet die Angst, dass nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, bis sich mir ein Fenster schließt, um durch die Wolke stoßen zu können.

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