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Kynosarges 2408

Inzwischen ist Freitag, der 20.09. Vieles ist passiert und irgendwie auch wieder nicht. Hin- und Rückflug nach und von Teneriffa verliefen ohne Komplikationen (bis auf das, dass wir auf dem Rückweg fast zwei Stunden auf die Gepäckausgabe warten mussten), der Arbeitseinsatz im Großen und Ganzen auch - den werde ich in einigen Details weiter unten beschreiben. Die Tage danach waren zwar einerseits viel von Passivität und Nichtstun geprägt, vielleicht auch, weil Jetlag, Erschöpfung, plötzlicher Herbsteinbruch und Schwierigkeiten mit meinem Boot hinsichtlich Transport und Hochwasser im Donaugebiet mich lähmten, allerdings habe ich virtuell hinsichtlich Velo-Proa und künstlerisch publizistischem Schaffen einige Fortschritte und Impulse erfahren, auf die ich gerne eingehen möchte.
Doch zunächst zum Arbeitseinsatz: 15 Tage mehr oder weniger Tag und Nacht sind viel, das war mir im Vorfeld bewusst, doch konnten die Klientin und ihr Partner es für die meiste Zeit tagsüber so gestalten, dass ich zwar dabei war und für wenige pflegerische Aspekte auf mich zurückgegriffen werden konnte, dass aber darüber hinaus der Partner die meisten Handgriffe übernahm. Die Morgen- und Abendroutinen waren meistens meine Aufgabe. Teils stundenweise, zweimal einen Nachmittag und in der Mitte einen ganzen Tag zwischen Frühstück und Abendessen hatte ich ganz frei. Dafür war der Partner für drei Vormittage anderweitig beschäftigt und ging tauchen. Die Nächte, zwar auf Abruf, konnte ich alle durchschlafen. Unter diesen Umständen war es gut machbar.
Dabei begann der Urlaub dort zunächst mit Komplikationen: Gleich am ersten Abend wollte die Klientin einen Ausflug die Strandpromenade entlang machen, und während ihr Partner zu erschöpft war, den Rollstuhl zu schieben - wir hatten alle die Nacht davor nur etwa drei Stunden geschlafen, weil Gäste sich bis tief in die Nacht nicht losreißen konnten, zudem kamen fast fünf Stunden Flug und Jetlag noch dazu - hatte ich mich bereit erklärt, dafür noch genügend Energie zu haben. Auf dem Rückweg fuhr eine britische Urlauberin mit ihrem Scooter einen viel zu hohen Bordstein hinab, wodurch sie umzukippen und gefährlich zu fallen drohte. Der Partner sprang hinzu ihr zu helfen, und als ich sah, dass er den Scooter nicht würde halten können, ließ ich den Rollstuhl stehen und kam ihm zur Hilfe - mehr aus Reflex denn aus bewusster Überlegung, denn obwohl der Boden eben war, setzte sich der Rollstuhl trotzdem leicht in Bewegung und der Scooter hatte mittlerweile mit Ach und Krach den Bordstein überwunden und steuerte nun auf den Rollstuhl zu. Das gab für einen Moment große Panik, und natürlich war es meine Schuld, denn durch die vorigen Strapazen war meine Geistesgegenwart wohl etwas eingeschränkt. Die Klientin hatte nur noch den Wusch, den Urlaub sofort abzubrechen, konnte aber durch ihren Partner und wiederholte Bitten um Entschuldigung meinerseits beruhigt werden. Dann allerdings gleich am nächsten Tag, wir waren am Strand, verlor eine weitere Person, möglicherweise ebenfalls britisch, die Kontrolle über ihren Scooter und steuerte ihn mit Vollgas rückwärts in Strandliegen, die sich hinter ihm auftürmten und gefährlich nahe, nur noch Zentimeter entfernt, auf die Klientin zu geschoben wurden. Erneut große Panik, erneut der Wunsch, den Urlaub abzubrechen. Inzwischen waren diese Scooter zum Hass- und bald Trauma-Objekt geworden. Wenige Tage später, diesmal im Hotel, verlor eine Hotelbekanntschaft, ebenfalls mit einem Scooter unterwegs, für einen Moment die Kontrolle über diesen und fuhr auf unseren Tisch zu, und wieder ein paar Tage später geschah dem Kollegen ebendieser Bekanntschaft das gleiche.
Über eine solche lange Zeit kann man Menschen anders kennen lernen als sonst über den normalen Alltag. Natürlich war die stark überwiegende Zeit harmonisch, angenehm, schön. Auf einen Punkt, der während der Zeit mich beschäftigte und mit dem ich persönlich hadere, nämlich den Konsumaspekt, brauche ich hier nicht erneut einzugehen. Auf einen weiteren Punkt, der damit zusammenhängt, möchte ich hier allerdings eingehen. Natürlich steht es mir nicht zu, und ich bin mir bewusst, dass ich es trotzdem mache, andere Leute für ihre Entscheidungen zu verurteilten (ich verurteile mich selbst oft viel härter, was keine Entschuldigung oder Rechtfertigung sein soll), aber mir geht so gar nicht in den Sinn, wenn man ein Hotel mit Halbpension bucht, das morgens und abends ein reichhaltiges und täglich wechselndes Buffet anbietet, wieso man, statt dies wahrzunehmen, lieber mit hohen zusätzlichen Ausgaben auswärts frühstücken und zu Abend essen geht. Und zusätzlich habe ich für mich noch einmal bestätigen können, was mir zuvor schon klar war: Es ist eine Sache, bei ungleichen ökonomischen Verhältnissen zwischen zwei Menschen, dass einer den anderen mitträgt, aber eine andere, wenn derjenige, der mitgetragen wird, eine exorbitante Forderung nach der anderen stellt und erwartet, dass diese selbstverständlich stante pede erfüllt werden. Vor einer solchen Partnerschaft wäre ich schon nach wenigen Tagen geflohen. Es gibt da diese Theorie über verschiedene Typen der Love-Language, und eindeutig ist ebendiese so gar nicht meine.
An meinem freien Tag wollte ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis Santiago fahren, kam aber wegen Unstimmigkeiten mit den Fahrplänen nur bis Guía, ebenfalls in den Bergen, was auch schön war und wahrscheinlich sogar besser geeignet. Denn mein Plan war, jeweils von dort aus zu Fuß zur Küste zu wandern und dort von Strand zu Strand zurück zum Hotel zu trampen. Der Abstieg dauerte allerdings länger als erwartet, war aber erfülled, der erste Strand in San Juan gefiel mir nur wenig, der zweite Strand, zu dem ich nur per Bus kam, war keiner, sondern eine Steilküste mit allerdings schönem Ausblick, und als ich dann Erfolg hatte beim Trampen, weil aber das Abendessen schon recht nah war, ließ ich mich zum Ort des Hotels mitnehmen und ging dort an den Strand, so dass ich zur ausgemachten Zeit wieder bereit war. Ein andermal nutzte ich meine freie Zeit um in die unmittelbar benachbarten Bergen zu steigen. Während dieser Zeiten konnte ich immer gut abschalten und neue Energie schöpfen.
Als ich nach den zwei Wochen wieder bei mir in meinem eigenen Zuhause war, hatte ich mehrere Wellen von Müdigkeit wild über zwei Tage verteilt. Dazwischen und danach stieß ich über YouTube (denn dort verbrachte ich einige Zeit, anders als während des Urlaubs, in dem ich kaum dort war) auf eine Musikerin aus Südostasien, die ich vor einigen Wochen schon einmal bemerkt hatte, und steigerte mich in eine Begeisterungs- und Wehmutswelle hinein, denn sie produziert meiner Ansicht nach mit großem Können Videos, in denen sie energiegeladene elektronische Musik mit ethnischen Instrumenten ihrer Region kombiniert und auf diese Weise teils bekannte Musikstücke neu interpretiert, teils eigene komponiert. Wehmut kam mir vor allem, weil sie einerseits auf mich sehr attraktiv wirkt, aber noch ziemlich jung ist, und zum Anderen mich an meine Zeit erinnert, als ich in ihrem Alter elektronische Musik komponiert habe, nicht so aufwendig und professionell wie sie, aber möglicherweise mit ähnlichen Intentionen wie sie, mit grundsätzlich ähnlichem Liedaufbau usw., und ich frage mich, ob mir damals ein Weg wie ihrer heute offen gestanden wäre, immerhin tritt sie vor großem Publikum in Clubs und auf Festivals auf. 
Sie konnte und kann mich dazu inspirieren, mich dem Komponieren wieder mehr zu widmen und mein Velo-Proa-Projekt mehr als Kombination aus unabhängigem Reisen und Musizieren zu denken denn als groß ausgeklügeltes System komplexer Selbstversorgung. Wenn ich ehrlich bin, brauche ich für meine Bedürfnisse keine große Vielfalt an gezüchteten Pflanzen usw., sondern zB ein 10kg-Sack Reis, davon alle zwei Tage in einer Art Sonnenofen zwei Tagesrationen gedünstet, dazu etwas Gewürz und Proteine untergerührt reichen mir völlig aus um glücklich zu werden und viele Stunden damit zu verbringen, philosophisch geprägte, kynisch formulierte, knackige Botschaften auf starke Beats zu packen und so solargepowert hin und wieder meine Umgebung zu beschallen zu Land und zu Wasser. Bezüglich des Velo-Proas war die Neuerung, für die Velo-Variante nicht Fahrräder zu zerflexen, sondern sie ganz zu lassen und so mit dem Kanu zu verbinden, dass es entweder zwischen ihnen getragen wird, oder aber es wird auf kleinen Rollen hinterhergezogen - ich sah diesbezüglich kürzlich ein Video, in dem Leute letzteres machten - , wobei ich es lieber tragend verbinden möchte, so dass mehrere Radler sich gegenseitig unterstützend gleichzeitig das gleiche Velomobil befördern. Die Kanustruktur aus Flaschen, stelle ich mir vor, wird stabiler, wenn ich immer drei Schläuche aus Flaschen günstig gegeneinander versetzt längs miteinander und diese dann mit jeweils anderen Dreiern verbinde. Dennoch sollte alles soweit modular bleiben, dass, zB für das Anbringen der Fahrräder, genügend Platz für die Beine und zum Ein- und Aussteigen geschaffen werden kann. Wohin die Fahrräder, notfalls zerlegt, in der Proa-Variante kommen, das weiß ich noch nicht.
Inzwischen ist es tief in der Nacht bzw. früh morgens am 21.09. und ich überlege, was nächste Schritte sein könnten. Wichtig ist die Steuererklärung für die letzten vier Jahre, denn es sind einige Rückzahlungen zu erwarten. Einstein sollte ich auch wieder anpacken, denn der Professor wird inzwischen wieder zurück sein. Mit meinem Boot und der Flut halte ich die Augen offen. Am 03. Oktober geht es mit der Arbeit weiter, Mitte Oktober bin ich mit meinen Kind unterwegs und Ende Oktober mit meiner Mutter und dazwischen besuche ich die Feier zum 90. Geburtstag des hochbetagten Freundes.
Soweit...

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