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Kynosarges 2406

Der viertägige Einsatz in Holland war tatsächlich ganz angenehm. Ich hatte für die drei Nächte jeweils ein viel zu großes Zimmer für mich selbst, was mir in erster Linie wie Verschwendung vorkam. Tagsüber waren wir konsumerisch unterwegs zwischen Hotel, Strand, Café und Shoppingmeile quasi immer hin und her, lediglich für die Runden, die ich mit dem Hund alleine gedreht habe, konnte ich aus dem Konsum ausbrechen und zB einfach zwischen den Dünen wandern. Die dritte Nacht fand in Alkmaar statt, aber auch hier unter ähnlichen Bedingungen. Alkmaar wie auch die holländische Nordseeküste waren alles in allem eine schöne Arbeitsumgebung, so dass ich gerne auch privat noch einmal dorthin reisen würde.
Unmittelbar nach meinen Arbeitseinsätzen ging es noch am selben Abend, 30.07., mit dem Zug nach Stuttgart zum genannten hochbetagten Freund, bei dem ich nach einem langen Gespräch bei Tee nächtigen konnte. Am nächsten Morgen gab es Frühstück, wie man es sich bei einem älteren Junggesellen mit Inselbegabung vorstellen würde, danach besorgte ich einen privaten Mietwagen und wir fuhren los, holten noch einen Rollstuhl zur Miete ab und machten auf der Fahrt nach Nürnberg spontan Zwischenstation in den Museen Würth mit überwiegend moderner und zeitgenössischer Kunst und hatten dabei noch eine spontane Begegnung zum Kaffee mit meiner Mutter. Für das Hotel in Nürnberg hatte ich um ein barrierefreies Zimmer gebeten, damit wir besser mit dem Rollstuhl zurecht kämen, aber abgesehen davon, dass das Zimmer und insbesondere das Badezimmer etwas größer waren, war es nicht optimal ausgestattet. Effektiv hatten wir zwei ganze Tage in Nürnberg, eingerahmt von drei Übernachtungen, wovon wir den ersten mit einem Gang durch die Altstadt und der Besichtigung der wichtigsten, gotischen Kirchen Lorenz, Sebald und Frauenkirche und einem Besuch mit dem Rollstuhl anstrendend bergauf zur Kaiserburg verbrachten - dort überraschte uns der Regen, der bis in den Abend andauerte und uns zwang, tropfnass durch die Altstadt zurück zum Hotel zu eilen. Mit einem kleinen, viel zu teuren Abendessen an der Bar ließen wir den Tag ausklingen. Den nächsten Tag begannen wir im germanischen Museum, hier vor allem in der Sammlung zum Mittelalter und zum Schluss zum 20. Jahrhundert, danach folgten wir einer anderen Route durch die Altstadt am Henkersteg und dem Dürerhaus vorbei und passierten auf dem Rückweg erneut die alten Kirchen und nahmen neben dem Handwerkerhof ein japanisches Abendessen ein - mit stellte sich dabei die Frage, ab welchem Jahrhundert so sehr fremdländische Küche in deutschen Städten hätte Fuß fassen können ohne mehrheitlich gemieden oder gar verjagt zu werden, später knüpfte sich daran noch die Frage, seit wann Tourismus abseits von Handel und Wallfahrt existiert - Wikipedia konnte schließlich etwas helfen. 
Nach der dritten Nacht im Hotel machten wir uns auf nach München, allerdings mit einem Zwischenstopp in Landshut, denn diese Stadt mit dem höchsten Kirchturm Bayerns hatte mein hochbetagter Freund noch nie besucht. Nach einem Besuch in der Kirche nahmen wir eine indische Mahlzeit (hier stellte sich mit die gestrige Frage erneut) im Schatten des Kirchturms ein, schritten die beiden Hauptstraßen der Altstadt und das Flussufer ab und setzten unseren Weg nach München fort, um dort bei einer seiner Schwestern, beide sind älter als er, davon aber die jüngere, im Haus seiner Kindheit für weitere fünf Nächte bzw. vier Tage unterzukommen. Den ersten davon widmeten wir zuerst einem Spaziergang im Ort gefolgt davon, dass die Tochter der Schwester zu Kaffee und Kuchen und zum Abendessen auswärts, traditionelle Küche, kam, den zweiten einem Besuch seiner ältesten Schwester, die aufgrund von Demenz in einem Heim für alte Menschen lebte, wo wir Mittagessen, Kaffeezeit und Abendessen verbringen und er bis zur wüsten Unterbrechung durch eine Friseurin Klavier spielen konnte. Den dritten Tag begannen wir mit einem Besuch der Pinakothek der Moderne und waren für den Nachmittag bei einer sehr guten Freundin seinerseits eingeladen, bei der wir Kaffee und Kuchen und ein ausschweifendes Abendmahl bis spät in die Nacht bekamen, den vierten mit einem Besuch von Münchens Altstadt, Frauenkirche und andere, bis wir ebenfalls für den Nachmittag bei einer anderen Freundin von ihm, einer aus Kindheitstagen, zu Kaffee und Kuchen vorbeikamen. Nicht erdrückend im Vordergrund, aber dennoch nicht zu übersehen im Hintergrund lag bei jeder Begegnung die unbestreitbar große Wahrscheinlichkeit, dass die jeweilige Begegnung die letzte gewesen sein könnte. Dies war jedoch nur wenig ein Anlass zu Kummer und Trauer, lediglich der Besuch bei der dementen Schwester war teilweise bedrückend. Zu einem gewissen Teil mag das Fehlen großer Trauer aber auch dem Umstand geschuldet sein, dass der hochbetagte Freund aufgrund eines vermuteten, gewissen Aspergerautismus' über nur wenig ausgeprägte Sozialkompetenzen verfügen könnte. 
Gewisse amüsante Gedanken kamen mir bei der Vorstellung, dass unter seinen recht zahlreichen Freundinnen natürlich einerseits sein bewundernswertes Klavierspiel verehrt wurde, dass aber möglicherweise weitere Hoffnungen damit verbunden waren, möglicherweise vergeblich aufgrund der sozialen Umstände, möglicherweise aber auch erfüllt unter Stillschweigen. Mein hochbetagter Freund war und ist sicherlich kein talentierter Verführer, sondern eher ein schrulliger Kauz, wenn ich das so sagen darf, der gewiss kaum von sich selbst aus Frauen Avancen gemacht hätte, doch ob er sich gegen die Avancen einer Frau hätte wehren wollen oder können, insbesondere, wenn sie vehement gewesen wären, das glaube ich bezweifeln zu können. Und es kamen insbesondere bei einer Freundin Geschichten auf den Tisch, nun ja, nur halb auf den Tisch, die vermuten ließen, dass es zumindest stark interessierte Menschen und auch gute Gelegenheiten zB während gemeinsamer Reisen gegeben haben könnte. Als er als Lehrer tätig war, gab es bei ihm einen Schulwechsel, dessen Begleitumstände mich ebenfalls zu Spekulationen anregen.
Aber auch gewisse traurige Gedanken erfüllten mich, wahrnehmend, dass jede der alten Personen quasi alleine lebte und die meiste Zeit davon auch wirklich allein verbrachte. Die älteste Schwester war zwar äußerlich nicht allein, umgeben im Heim von anderen alten Menschen und denen, die sie pflegen, doch durch ihre Demenz wohl innerlich allein, und alle anderen, einschließlich mein hochbetagter Freund, leben allein in ihrer jeweiligen Wohnung und begegnen nur etwa wöchentlich anderen bekannten Menschen und sind ansonsten allein.
Mich beschäftigte dabei auch der Gedanke daran, wie es mit mir sein würde, wenn ich alt würde. Alleinsein kenne ich bereits jetzt schon, allerdings kann ich dies durch Arbeit, Familie und Freundschaften leicht ändern, und auch meine Couchsurfer:innen tragen dazu bei, es mir zu erleichtern. Tatsächlich gefällt mir sehr gut der Wechsel zwischen Alleinsein und in Gesellschaft sein. Doch mit zunehmendem Alter würde auch bei mir das Alleinsein klar überwiegen, und wenn ich dann noch durch altersbedingte Einschränkungen im Sehen, Hören, Gehen, Denken usw. zu noch mehr Einsamkeit genötigt würde, weiß ich nicht, wie es mir dann erginge. Und natürlich auch dachte ich daran, welche langjährigen Freundinnen mir bis ins Alter blieben und welche intimen Geheimnisse wir bewahren und im Alter damit umgehen würden. 
Diese acht Tage gingen mit unserer gemeinsamen Rückfahrt nach Stuttgart zuende, mit einem langen Gespräch über die Kunst Pompejis, nachdem wir Rollstuhl und ich den Wagen zurückgegeben und etwas zum Abendessen besorgt hatte. Während der Zugfahrt zurück zu mir nach Hause wollte ich eigentlich diesen Blogeintrag schreiben, doch da es große Verzögerungen, Umleitungen und Stillstand bei der Zugfahrt gab, schob ich das Schreiben auf bis heute.
Inzwischen gab es weitere Arbeitseinsätze u.a. mit Konsumfahrt, trotzdem ganz schön, nach Linz, mit krankem Hund, und dazwischen ein Bad in der Fischtreppe eines Bachs. Auch aktuell bin ich in einem Arbeitseinsatz - es ist inzwischen der 14. August - , und morgen werde ich im MakerSpace meine ersten Bastelversuche machen, übermorgen kommt ein weiterer Arbeitseinsatz tagsüber, gefolgt vom Besuch meines Kindes fürs Wochenende, danach von einem Besuch am Bodensee und in Regensburg wegen meines Bootes, zB um die Siebdruckplatte wasserfest zu machen, danach von weiteren Arbeitseinsätzen und Kinder-Wochenende, und schließlich besteht zwischen dem letzten regulären Arbeitseinsatz und demjenigen großen urlaubsbegleitend auf die Kanaren noch ein kleines Fenster von zwei Tagen, die ich zB dem Boot widmen könnte.
Bezüglich Einstein gab es zunächst keine Entwicklung. 
Bezüglich dieses Blogs sieht es so aus, dass die Einträge öfter in größeren Abständen als zwei Wochen kommen könnten, dennoch möchte ich weiterhin eher einen Abstand von zehn Tagen anpeilen. Am 24. August, zehn Tage von jetzt an, hätte ich mein Kind fürs Wochenende. Mal sehen, ob ich da etwas zu schreiben schaffe. 
Das Thema Selbstgerechtigkeit, das ich vor einiger Zeit als Schreibthema hier anschnitt, beschäftigt mich weiterhin, u.a. in Bezug auf den hochbetagten Freund und auch in Bezug auf mich, auch im Lichte von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, und auch das Bedürfnis, solche und andere Gedanken lyrisch-musikalisch auszuarbeiten, meldet sich immer wieder. Ich hoffe, das Bedürfnis wird sich bald so verstärken, dass es mich ins Tun drängt, denn bislang kam ich noch nicht weit.
Soweit...

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