Auch im Fazit meiner Bachelorarbeit gelang mir ein "pyrrhonischer" Absatz wie in der Einleitung, der mit einer Aussage startet und mit deren Gegenteil endet wie eine Klammer, und beide Sätze sind für sich ebenbürtig nachvollziehbar bzw. belegt.
"5 - Fazit
Pyrrhonisches Zweifeln ist das Ende allen vernünftigen Philosophierens.
Zumindest wirkt es oft so, wenn man in philosophischen Debatten mit Skeptizismus argumentiert: Die skeptische Sequenz und erst recht das Agrippa-Trilemma [s.u.] haben das Potenzial, jedes Argument zunichte zu machen. Darum wird Pyrrhonismus in vielen philosophischen Debatten als Sackgasse zurückgewiesen.
In dieser Arbeit wurde der Frage nachgegangen, ob und wenn ja wie sich der Pyrrhonismus ausleben lässt. Hierfür wurde gezeigt, wie anhand der zehn Tropen des Ainesidemos Sextus Empiricus der sinnlichen Wahrnehmung jegliche Aussagekraft darüber entreißt, in welchen Qualitäten und Eigenschaften die Welt und alle Dinge und Wesen dem Betrachter entgegentreten. Er wirft die sinnliche Wahrnehmung zurück auf den Betrachter und zeigt, dass ihm nur ein Zugang zum Schein der Welt, nicht jedoch zum Sein der Welt gegeben ist.
Mit der skeptischen Sequenz bis zur Epoché, zur Urteilsenthaltung, sieht sich der Pyrrhoneer durch eine abführende Argumentation nicht mehr in der Lage Entscheidungen zu treffen, sondern er liefert sich, ob nun rustikal oder urban, dem Wirken der Welt willenlos aus, wird gewissermaßen zum Schwein, wie von Pyrrhon gefordert. Ataraxie, seine Seelenruhe, wird damit zur Heilung von der Krankheit des Urteilens.
Man mag nun zum Schluss kommen, dass Pyrrhonismus, der zur Lebenspraxis wird, einen ultimativen, ausweglosen, vielleicht menschenunwürdigen Charakter hat oder entwickeln kann: nicht nur philosophische Argumentation, auch das Menschliche am Menschenleben kann zu Ende gehen. Dies wurde ausführlich in dieser Arbeit beschrieben und wird auch weiter unten erneut aufgegriffen werden.
Allerdings wirkt ein solches Urteil zu kurz gedacht. Die Skeptiker um Pyrrhon, Ainesidemos, Agrippa und Sextus gehörten zur Elite der damaligen Denker, und die Klarheit, Schärfe und Brillanz ihrer Argumente unterstützt nur ihre Selbstwahrnehmung ihrer Philosophie als die einzige, die wahre Philosophie. Daher möchte ich in meinem Fazit Schäfer folgen, der insbesondere im Alleinstellungsmerkmal des Pyrrhonismus, in seinem konsequenten Zweifel einschließlich seiner Selbstanwendung, die Tabula Rasa, den reinen Tisch sieht, der erforderlich ist, um neues Philosophieren, neues Argumentieren, neues Denken erst zu ermöglichen. In einer solchen Art sehe ich auch den Geist, der zwischen den nur wenigen überlieferten Zeilen der Pyrrhoneer des Altertums lebt:
Pyrrhonisches Zweifeln ist der Anfang allen vernünftigen Philosophierens.
5.1 - Probleme des Pyrrhonismus
Allerdings wird der Pyrrhonismus, der zur alleinigen Lebenspraxis wird, sowohl in der rustikalen als auch in der urbanen Lesart in die Unmenschlichkeit führen. In der rustikalen Lesart mündet er in Schwachsinnigkeit und Tod, in der urbanen in Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit. Während bei ersterer die Fatalität auf der Hand liegt, zeigt sie sich bei letzterer erst nach genauerer Betrachtung. Denn auch wenn gesagt wurde, dass der Urbanus ein gewöhnliches Leben wird führen können, so verbietet sich doch spätestens im Miteinander mit anderen moralischen Wesen, mit anderen Menschen die Beliebigkeit. Der Urbanus muss also ein äußeres moralisches Gesetz anerkennen. Sich in die Unentscheidbarkeit zu fliehen kann den Pyrrhoneer schnell zum Verbrecher werden lassen. Hier kann er zwar noch einwenden, dass durch die Gerichtsbarkeit eine Zwangslage entsteht, in die der Pyrrhoneer sich fügen wird. Aber es verbietet sich aus menschlicher Sicht bereits, dass er andere Menschen menschenunwürdig behandelt.
Auch wenn in dieser Arbeit kein moralischer Universalismus entwickelt werden soll, und auch wenn anerkannt wird, dass die letztgültige moralische Wahrheit wahrscheinlich jedem Menschen noch verborgen ist, so kann dem Pyrrhoneer doch nahegelegt werden, dass er anerkennt, dass es eine moralische Wahrheit gibt und dass es geboten ist, sich dieser stets bestmöglich anzunähern.
Und in ähnlicher Weise kann man dem Pyrrhoneer entgegnen, dass sich in die ontologische Unbestimmbarkeit zurückzuziehen ein Irrtum ist. Denn wenn der Pyrrhoneer bereits bejaht, dass es die Welt und die Dinge gibt, vielleicht im Kantischen Sinne des 'Dinges an Sich', dass er aber bislang in seinen Untersuchungen keinen Weg finden kann, sie in ihren Qualitäten zu bestimmen, so kann er sich als Skeptiker gemäß des Verbs sképtesthai, was 'schauen, spähen, betrachten, untersuchen' bedeutet, doch nicht auf eine Nicht-Untersuchung, auf einen Stillstand, eine Seelenruhe einlassen wollen. Der wahre Skeptiker, so müsste man meinen, sollte doch stets im Suchen nach Dogmen begriffen sein. Damit sollte er doch an Entwicklung interessiert sein; damit verbietet sich, streng genommen, der Dauerzustand des Abführmittels, denn damit kehrt man stets an den Anfangspunkt der Tabula Rasa zurück.
5.2 - Hoffnung und Ausblick
Wenn der Pyrrhoneer also als zweifelnder, suchender Dogmatiker angesehen werden kann, so braucht er einen dogmatischen Punkt für einen Weg aus der Ataraxie der Unmenschlichkeit. Im Sinne des Pyrrhonismus' dürfte er sich einem solchen auch nicht widersetzen, denn dann wäre er pyrrhonisch widerlegbar dogmatisch. In der Philosophiegeschichte finden sich einige Beispiele, die geeignet sein können, dem Pyrrhoneer einen solchen Punkt zu liefern. Diese sollen hier nur vorschlagend erwähnt ohne weiter erörtert zu werden.
Augustinus' Replik auf den Pyrrhonismus könnte eine solche Hilfe sein, indem er meint, selbst wenn man alles bezweifelt, auch seinen Zweifel selbst, so würde man doch nicht bezweifeln können, dass man ein zweifelndes Subjekt ist. Descartes greift diesen Gedanken in seinem Cogito auf, indem er ausführt, dass der Umstand, dass er den Zweifel an der gesamten Welt einschließlich seiner eigenen Persönlichkeit denkt, unumstößlich zur Erkenntnis führt, dass er als dieses denkende Subjekt existiert. Das Cogito lässt zwar ein solipsistisches Weltbild zu, welches der Pyrrhoneer aber nicht als Dogma annehmen könnte. Er müsste sich fragen, entweder ist er allein in seinem Zweifel, oder aber… aber was? Dabei bestreitet er ja gar nicht das Vorhandensein einer Außenwelt. Er bestreitet ja nicht, dass beispielsweise Honig existiert. Er sieht sich nur außerstande, ermitteln zu können, wie dieser Honig unabhängig von seiner Wahrnehmung 'ist'.
Mit der 'Kopernikanischen Wende' durch Kant oder durch den 'Linguistic Turn' zu Beginn des 20. Jahrhunderts fänden sich Ansatzpunkte für den Pyrrhoneer, seine Philosophie aus einer Sackgasse weiterzuentwickeln oder zumindest mit Philosophen anderer Strömungen in einen fruchtbaren Dialog zu gelangen. Für eine gedankliche Entwicklung des Pyrrhonismus' noch interessanter könnten aktuelle Theorien zur Quantenphysik sein. Eine Interpretation der Forschungsergebnisse in der Quantenphysik legt nahe, dass die Welt erst dadurch bestimmt wird, indem man sich mit ihr auseinandersetzt. Konkret legt dies ein Versuch nahe, bei dem Materieteilchen im Vakuum auf einen Kollektor gefeuert werden, wo sie auf ihrem Weg zum ersten Mal mit anderer Materie interagieren. Die Einschläge auf dem Kollektor legen nahe, dass die Teilchen sich 'wie in einer Welle aller ihrer Möglichkeiten' auf den Kollektor zu bewegen. Dort wird durch die Interaktion schließlich eine der Möglichkeiten für das Teilchen zweifelsfrei festgelegt. Versucht man die Teilchen auf ihrem Weg zu messen, so ist dieser Messvorgang bereits mit einer Interaktion gleichzusetzen, die das Teilchen festlegt, d.h. das Ergebnis auf dem Kollektor kann nicht mehr die 'Welle aller Möglichkeiten' aufzeigen.
Die Epoché des Pyrrhoneers kann die Unbestimmbarkeit der Teilchen symbolisieren. Doch statt auf Ataraxie, auf Unerschütterlichkeit zu hoffen, sollte der Pyrrhoneer wie der Kollektor sich erschütterlich zeigen, sollte Bestimmung, dogmatische Festlegung vornehmen, sollte den Dingen und Wesen ihre Namen und Qualitäten geben. Das machte ihn zum Menschen."
-- Agrippa-Trilemma: Der Pyrrhoneer Agrippa zeigte auf, dass jede Begründung letztlich nur aus sich selbst oder durch anderes stattfindet und erklärt, dass sowohl die Begründung aus sich selbst (Diallele - Zirkelschluss) als auch die endlos fortgesetzte Begründung durch anderes (infiniter Regress) offensichtlich wenig überzeugend sein können, wie es auch der Abbruch des Verfahrens mit einer Letztbegründung in Form einer Behauptung sein muss.
Die Arbeit an diesem Thema hat mir in ihren Anfängen gezeigt, dass ich gerne mit pyrrhonischer Skepsis durch die Welt ging und weiterhin gehe. Im weiteren Verlauf der Arbeit habe ich aber festgestellt, dass ich kein Pyrrhoneer sein kann, denn ich suche nach Antworten und sehe es als unbefriedigend in der Frage zu verharren. Jedoch möchte ich nicht jede Antwort unhinterfragt akzeptieren. Inzwischen habe ich aber gelernt, dass ich das durchaus tun kann, denn der Mensch ist ein sinnstiftendes Wesen, er ist derjenige, der allem Bedeutung verleiht.
Die Antworten, nach denen ich suche, muss ich mich nur trauen mir selbst zu geben. Denn vermutlich führt jeder Mensch sein ganzes Leben im Lichte einer Vorstellung davon, was die Welt und er* selbst darin ist.
Auch wenn das hier nicht ganz ernstzunehmend klingt, kann man damit wie im Sinne Astrid Lidgrens "sich die Welt machen, wie sie einem* gefällt", und sich selbst übrigens auch.
Dies ist übrigens das, was den Menschen abgesehen von seiner tierverwandten physischen Biologie zum Menschen macht: Sich als Mensch selbst zu definieren.
"5 - Fazit
Pyrrhonisches Zweifeln ist das Ende allen vernünftigen Philosophierens.
Zumindest wirkt es oft so, wenn man in philosophischen Debatten mit Skeptizismus argumentiert: Die skeptische Sequenz und erst recht das Agrippa-Trilemma [s.u.] haben das Potenzial, jedes Argument zunichte zu machen. Darum wird Pyrrhonismus in vielen philosophischen Debatten als Sackgasse zurückgewiesen.
In dieser Arbeit wurde der Frage nachgegangen, ob und wenn ja wie sich der Pyrrhonismus ausleben lässt. Hierfür wurde gezeigt, wie anhand der zehn Tropen des Ainesidemos Sextus Empiricus der sinnlichen Wahrnehmung jegliche Aussagekraft darüber entreißt, in welchen Qualitäten und Eigenschaften die Welt und alle Dinge und Wesen dem Betrachter entgegentreten. Er wirft die sinnliche Wahrnehmung zurück auf den Betrachter und zeigt, dass ihm nur ein Zugang zum Schein der Welt, nicht jedoch zum Sein der Welt gegeben ist.
Mit der skeptischen Sequenz bis zur Epoché, zur Urteilsenthaltung, sieht sich der Pyrrhoneer durch eine abführende Argumentation nicht mehr in der Lage Entscheidungen zu treffen, sondern er liefert sich, ob nun rustikal oder urban, dem Wirken der Welt willenlos aus, wird gewissermaßen zum Schwein, wie von Pyrrhon gefordert. Ataraxie, seine Seelenruhe, wird damit zur Heilung von der Krankheit des Urteilens.
Man mag nun zum Schluss kommen, dass Pyrrhonismus, der zur Lebenspraxis wird, einen ultimativen, ausweglosen, vielleicht menschenunwürdigen Charakter hat oder entwickeln kann: nicht nur philosophische Argumentation, auch das Menschliche am Menschenleben kann zu Ende gehen. Dies wurde ausführlich in dieser Arbeit beschrieben und wird auch weiter unten erneut aufgegriffen werden.
Allerdings wirkt ein solches Urteil zu kurz gedacht. Die Skeptiker um Pyrrhon, Ainesidemos, Agrippa und Sextus gehörten zur Elite der damaligen Denker, und die Klarheit, Schärfe und Brillanz ihrer Argumente unterstützt nur ihre Selbstwahrnehmung ihrer Philosophie als die einzige, die wahre Philosophie. Daher möchte ich in meinem Fazit Schäfer folgen, der insbesondere im Alleinstellungsmerkmal des Pyrrhonismus, in seinem konsequenten Zweifel einschließlich seiner Selbstanwendung, die Tabula Rasa, den reinen Tisch sieht, der erforderlich ist, um neues Philosophieren, neues Argumentieren, neues Denken erst zu ermöglichen. In einer solchen Art sehe ich auch den Geist, der zwischen den nur wenigen überlieferten Zeilen der Pyrrhoneer des Altertums lebt:
Pyrrhonisches Zweifeln ist der Anfang allen vernünftigen Philosophierens.
5.1 - Probleme des Pyrrhonismus
Allerdings wird der Pyrrhonismus, der zur alleinigen Lebenspraxis wird, sowohl in der rustikalen als auch in der urbanen Lesart in die Unmenschlichkeit führen. In der rustikalen Lesart mündet er in Schwachsinnigkeit und Tod, in der urbanen in Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit. Während bei ersterer die Fatalität auf der Hand liegt, zeigt sie sich bei letzterer erst nach genauerer Betrachtung. Denn auch wenn gesagt wurde, dass der Urbanus ein gewöhnliches Leben wird führen können, so verbietet sich doch spätestens im Miteinander mit anderen moralischen Wesen, mit anderen Menschen die Beliebigkeit. Der Urbanus muss also ein äußeres moralisches Gesetz anerkennen. Sich in die Unentscheidbarkeit zu fliehen kann den Pyrrhoneer schnell zum Verbrecher werden lassen. Hier kann er zwar noch einwenden, dass durch die Gerichtsbarkeit eine Zwangslage entsteht, in die der Pyrrhoneer sich fügen wird. Aber es verbietet sich aus menschlicher Sicht bereits, dass er andere Menschen menschenunwürdig behandelt.
Auch wenn in dieser Arbeit kein moralischer Universalismus entwickelt werden soll, und auch wenn anerkannt wird, dass die letztgültige moralische Wahrheit wahrscheinlich jedem Menschen noch verborgen ist, so kann dem Pyrrhoneer doch nahegelegt werden, dass er anerkennt, dass es eine moralische Wahrheit gibt und dass es geboten ist, sich dieser stets bestmöglich anzunähern.
Und in ähnlicher Weise kann man dem Pyrrhoneer entgegnen, dass sich in die ontologische Unbestimmbarkeit zurückzuziehen ein Irrtum ist. Denn wenn der Pyrrhoneer bereits bejaht, dass es die Welt und die Dinge gibt, vielleicht im Kantischen Sinne des 'Dinges an Sich', dass er aber bislang in seinen Untersuchungen keinen Weg finden kann, sie in ihren Qualitäten zu bestimmen, so kann er sich als Skeptiker gemäß des Verbs sképtesthai, was 'schauen, spähen, betrachten, untersuchen' bedeutet, doch nicht auf eine Nicht-Untersuchung, auf einen Stillstand, eine Seelenruhe einlassen wollen. Der wahre Skeptiker, so müsste man meinen, sollte doch stets im Suchen nach Dogmen begriffen sein. Damit sollte er doch an Entwicklung interessiert sein; damit verbietet sich, streng genommen, der Dauerzustand des Abführmittels, denn damit kehrt man stets an den Anfangspunkt der Tabula Rasa zurück.
5.2 - Hoffnung und Ausblick
Wenn der Pyrrhoneer also als zweifelnder, suchender Dogmatiker angesehen werden kann, so braucht er einen dogmatischen Punkt für einen Weg aus der Ataraxie der Unmenschlichkeit. Im Sinne des Pyrrhonismus' dürfte er sich einem solchen auch nicht widersetzen, denn dann wäre er pyrrhonisch widerlegbar dogmatisch. In der Philosophiegeschichte finden sich einige Beispiele, die geeignet sein können, dem Pyrrhoneer einen solchen Punkt zu liefern. Diese sollen hier nur vorschlagend erwähnt ohne weiter erörtert zu werden.
Augustinus' Replik auf den Pyrrhonismus könnte eine solche Hilfe sein, indem er meint, selbst wenn man alles bezweifelt, auch seinen Zweifel selbst, so würde man doch nicht bezweifeln können, dass man ein zweifelndes Subjekt ist. Descartes greift diesen Gedanken in seinem Cogito auf, indem er ausführt, dass der Umstand, dass er den Zweifel an der gesamten Welt einschließlich seiner eigenen Persönlichkeit denkt, unumstößlich zur Erkenntnis führt, dass er als dieses denkende Subjekt existiert. Das Cogito lässt zwar ein solipsistisches Weltbild zu, welches der Pyrrhoneer aber nicht als Dogma annehmen könnte. Er müsste sich fragen, entweder ist er allein in seinem Zweifel, oder aber… aber was? Dabei bestreitet er ja gar nicht das Vorhandensein einer Außenwelt. Er bestreitet ja nicht, dass beispielsweise Honig existiert. Er sieht sich nur außerstande, ermitteln zu können, wie dieser Honig unabhängig von seiner Wahrnehmung 'ist'.
Mit der 'Kopernikanischen Wende' durch Kant oder durch den 'Linguistic Turn' zu Beginn des 20. Jahrhunderts fänden sich Ansatzpunkte für den Pyrrhoneer, seine Philosophie aus einer Sackgasse weiterzuentwickeln oder zumindest mit Philosophen anderer Strömungen in einen fruchtbaren Dialog zu gelangen. Für eine gedankliche Entwicklung des Pyrrhonismus' noch interessanter könnten aktuelle Theorien zur Quantenphysik sein. Eine Interpretation der Forschungsergebnisse in der Quantenphysik legt nahe, dass die Welt erst dadurch bestimmt wird, indem man sich mit ihr auseinandersetzt. Konkret legt dies ein Versuch nahe, bei dem Materieteilchen im Vakuum auf einen Kollektor gefeuert werden, wo sie auf ihrem Weg zum ersten Mal mit anderer Materie interagieren. Die Einschläge auf dem Kollektor legen nahe, dass die Teilchen sich 'wie in einer Welle aller ihrer Möglichkeiten' auf den Kollektor zu bewegen. Dort wird durch die Interaktion schließlich eine der Möglichkeiten für das Teilchen zweifelsfrei festgelegt. Versucht man die Teilchen auf ihrem Weg zu messen, so ist dieser Messvorgang bereits mit einer Interaktion gleichzusetzen, die das Teilchen festlegt, d.h. das Ergebnis auf dem Kollektor kann nicht mehr die 'Welle aller Möglichkeiten' aufzeigen.
Die Epoché des Pyrrhoneers kann die Unbestimmbarkeit der Teilchen symbolisieren. Doch statt auf Ataraxie, auf Unerschütterlichkeit zu hoffen, sollte der Pyrrhoneer wie der Kollektor sich erschütterlich zeigen, sollte Bestimmung, dogmatische Festlegung vornehmen, sollte den Dingen und Wesen ihre Namen und Qualitäten geben. Das machte ihn zum Menschen."
-- Agrippa-Trilemma: Der Pyrrhoneer Agrippa zeigte auf, dass jede Begründung letztlich nur aus sich selbst oder durch anderes stattfindet und erklärt, dass sowohl die Begründung aus sich selbst (Diallele - Zirkelschluss) als auch die endlos fortgesetzte Begründung durch anderes (infiniter Regress) offensichtlich wenig überzeugend sein können, wie es auch der Abbruch des Verfahrens mit einer Letztbegründung in Form einer Behauptung sein muss.
Die Arbeit an diesem Thema hat mir in ihren Anfängen gezeigt, dass ich gerne mit pyrrhonischer Skepsis durch die Welt ging und weiterhin gehe. Im weiteren Verlauf der Arbeit habe ich aber festgestellt, dass ich kein Pyrrhoneer sein kann, denn ich suche nach Antworten und sehe es als unbefriedigend in der Frage zu verharren. Jedoch möchte ich nicht jede Antwort unhinterfragt akzeptieren. Inzwischen habe ich aber gelernt, dass ich das durchaus tun kann, denn der Mensch ist ein sinnstiftendes Wesen, er ist derjenige, der allem Bedeutung verleiht.
Die Antworten, nach denen ich suche, muss ich mich nur trauen mir selbst zu geben. Denn vermutlich führt jeder Mensch sein ganzes Leben im Lichte einer Vorstellung davon, was die Welt und er* selbst darin ist.
Auch wenn das hier nicht ganz ernstzunehmend klingt, kann man damit wie im Sinne Astrid Lidgrens "sich die Welt machen, wie sie einem* gefällt", und sich selbst übrigens auch.
Dies ist übrigens das, was den Menschen abgesehen von seiner tierverwandten physischen Biologie zum Menschen macht: Sich als Mensch selbst zu definieren.
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