Im letzten Beitrag ging es um den Zweifel daran, ob ich die Existenz von etwas anderem als "Jetzt und Hier" beweisen kann, da alle anderen Orte und Zeiten ja nur Teile einer jetzigen Vorstellung sind. Das bringt mich auf meine Bachelorarbeit zum Thema "Pyrrhonismus und Lebenspraxis am Beispiel sinnlicher Wahrnehmung". Ich möchte mein Einführungskapitel dazu hier gerne teilen, auch, weil ich es nach sprachästhetischen Gesichtspunkten für eine akademische Arbeit in Teilen für gelungen halte.
"0 - Einleitung
Es scheint so, als ob die Welt von Klängen erfüllt sei.
So könnte sich ein Pyrrhoneer äußern, wenn man folgendem Gedankengang nachgeht:
Es scheint zu jedem Klang eine Quelle zu geben, manche weit entfernt, manche sogar im eigenen Körper. Klänge äußern sich häufig in Mischungen verschiedener Lautstärken und Tonhöhen, denen sich das menschliche Ohr kaum entziehen kann. Man kann nicht etwas willentlich 'nicht hören' bzw. man kann nicht 'weghören', so dass kein Ort erreichbar scheint, der von Geräuschen gänzlich frei ist, schon allein, weil selbst der Körper in seinen Funktionen bereits Geräusche erzeugt.
Wie das Hören abläuft, gilt allgemein als bekannt: Schallwellen dringen durch die Luft ans Trommelfell und versetzen dieses und damit die Gehörknöchelchen und die Flüssigkeit in der Hörschnecke mechanisch in Bewegung. Von der Innenhaut der Hörschnecke ragen kleine Härchen in die Flüssigkeit, die davon hin und her geneigt werden und dadurch über biochemische Reaktionen elektrische Impulse auslösen, welche über die Hörnerven an das Gehirn weitergeleitet werden. Dort, so meint man landläufig, gelangt die Information als Klangerlebnis ins Bewusstsein. Wenn aber erst an der Schwelle zwischen Gehirn und Bewusstsein die elektrischen Impulse, als Resultat mechanischer Schwingungen der Luft, in ein Erlebnis von Klang übersetzt werden und wenn Klang etwas ist, was sich nur im Geist, im Bewusstsein abspielt, also etwas, das sich qualitativ von mechanischer Luftschwingung unterscheidet, dann drängt sich doch der Schluss auf, dass die Welt an sich tatsächlich still ist.
In den Worten des Pyrrhoneers wäre also folgende Aussage der ersten ebenbürtig:
Es scheint so, als ob die Welt nicht von Klängen erfüllt sei.
Ähnliche Überlegungen sind für das Sehen, das Riechen, das Schmecken und das Tasten denkbar: Allen gemeinsam ist die Weiterleitung des äußeren Reizes über eine biochemische Reaktion und elektrische Impulse bis ans Gehirn. Es scheint also auch hier so, als ob die Welt von Sichtbarem, Riechbarem, Schmeckbarem und Tastbarem erfüllt sei. Denn auch wenn die sinnliche Wahrnehmung als unmittelbar empfunden wird, lässt sich empirisch zeigen, dass der Sinnesreiz immer einen solchen Signalweg mit mehrfachen Übersetzungen geht und also nicht unmittelbar ist. Sinnliche Erfahrung scheint damit nur ein Teil der inneren Vorstellungswelt zu sein. Damit stellt sich allerdings die Frage, ob, und wenn ja, welche Aussagen über die äußere Welt sicher möglich sind. Der Pyrrhoneer würde sagen, dass er sich da nicht festlegen kann, weil er für eine Zustimmung wie für eine Ablehnung in gleicher Weise Argumente sieht, und würde jeden, der sich festlegt, für einen Dogmatiker halten.
Wie soll man dann auf so einer Grundlage überhaupt vernünftig ein Leben führen können, mag man sich berechtigt fragen. Und daher soll die vorliegende Arbeit ergründen, wie sich die pyrrhonische Haltung zu sinnlicher Wahrnehmung auf die Lebenspraxis auswirkt bzw. auswirken kann.
0.1 - Entwicklung systematischen Hinterfragens
Pyrrhon von Elis, so geht die Sage, soll der Auffassung gewesen sein, dass die Entwicklung des Menschen zu einem denkenden, begreifenden und urteilenden Lebewesen kein Gewinn war. Er hält Urteilen für dogmatisch und damit für einen Charakterfehler, gewissermaßen für eine Krankheit für die Menschen. Mit seiner pyrrhonischen Skepsis bietet er eine Heilung an. Daher scheint es im Rahmen dieser Arbeit gerechtfertigt zu sein, die Entwicklung des Menschen zu einem Lebewesen vorauszusetzen, das dank seines Selbstbewusstseins seinen Geist frei entfalten kann, ungeachtet der seit Jahrhunderten andauernden und bis heute noch nicht endgültig gelösten Untersuchungen und Debatten darum. Es wird dann wie folgt angenommen: Aus Empfindungen entstehen Erfahrungen, aus Erfahrungen Gewohnheiten, schließlich Begriffe, Erkenntnisse und Wissen. Dies kann sowohl an der Entwicklung eines jeden menschlichen Individuums im frühesten Kindesalter nachvollzogen werden, wenn das Kind durch das Lernen mehr und mehr begreift, als auch in Grundzügen an der menschlichen Gesellschaft. Bei letzterer äußert es sich analog in immer komplexer werdenden Kulturen mit immer größeren Freiheitsgraden für immer mehr Individuen. In der Antike kam es dadurch vielfach zur Bildung von Hochkulturen in allen Erdteilen, insbesondere in der klassischen Antike auf dem Gebiet des heutigen Griechenlands und der Türkei. In der Zeit von Sokrates, Platon und Aristoteles erlebte diese kulturelle Entwicklung mit der Philosophie einen Höhepunkt systematischen Hinterfragens, ein Nachdenken über das Nachdenken, welches als Skeptizismus durch die Pyrrhoneer radikal auf die Spitze getrieben wurde.
0.2 - Zum Inhalt und Ziel der Arbeit
In den ersten beiden Kapiteln dieser Arbeit wird dargestellt, wie der Pyrrhoneer Dogmen allgemein und insbesondere basierend auf sinnlicher Wahrnehmung infrage stellt. Präziser ausgedrückt: Er findet in seiner Betrachtung der Welt verschiedene konträre, aber ebenbürtige Standpunkte und ihre jeweils guten Begründungen vor, die es ihm als unmöglich erscheinen lassen, eine letzte Entscheidung oder ein Urteil zu fällen; für ihn stellt sich in der Folge Seelenruhe ein. Das dritte Kapitel zeigt auf, wie er aus dieser Seelenruhe heraus, einer von zwei fundamental verschiedenen Lesarten des Pyrrhonismus folgend, sein Leben führen kann: Die urbane erlaubt dem Pyrrhoneer ein Leben wie jedem anderen gewöhnlichen Menschen, denn nur weil er sich nicht in der Lage sieht, zu entscheiden, was richtig und wahr ist, meint er, dass ihn das nicht daran hindert, zu tun und zu glauben, was ihm im jeweiligen Moment und in der jeweiligen Situation als plausibel erscheint. Die rustikale Lesart könnte den Pyrrhoneer in Handlungsunfähigkeit versetzen, weil er meint, dass die Entscheidung für eine Handlung oder eine Überzeugung, selbst wenn er nur der Plausibilität folgt, bereits ein Bruch der Ebenbürtigkeit und damit dogmatisch sein könnte; folglich reagiert er nur unwillkürlich. Was das für seine sinnliche Wahrnehmung bedeutet, also das zentrale Thema dieser Arbeit, wird im vierten Kapitel erörtert. Im fünften Kapitel schließlich wird ein Fazit der Untersuchung gezogen und es werden in einem Ausblick Überlegungen für mögliche Konsequenzen und eine mögliche quantenphysikalische Auflösung angeregt."
"0 - Einleitung
Es scheint so, als ob die Welt von Klängen erfüllt sei.
So könnte sich ein Pyrrhoneer äußern, wenn man folgendem Gedankengang nachgeht:
Es scheint zu jedem Klang eine Quelle zu geben, manche weit entfernt, manche sogar im eigenen Körper. Klänge äußern sich häufig in Mischungen verschiedener Lautstärken und Tonhöhen, denen sich das menschliche Ohr kaum entziehen kann. Man kann nicht etwas willentlich 'nicht hören' bzw. man kann nicht 'weghören', so dass kein Ort erreichbar scheint, der von Geräuschen gänzlich frei ist, schon allein, weil selbst der Körper in seinen Funktionen bereits Geräusche erzeugt.
Wie das Hören abläuft, gilt allgemein als bekannt: Schallwellen dringen durch die Luft ans Trommelfell und versetzen dieses und damit die Gehörknöchelchen und die Flüssigkeit in der Hörschnecke mechanisch in Bewegung. Von der Innenhaut der Hörschnecke ragen kleine Härchen in die Flüssigkeit, die davon hin und her geneigt werden und dadurch über biochemische Reaktionen elektrische Impulse auslösen, welche über die Hörnerven an das Gehirn weitergeleitet werden. Dort, so meint man landläufig, gelangt die Information als Klangerlebnis ins Bewusstsein. Wenn aber erst an der Schwelle zwischen Gehirn und Bewusstsein die elektrischen Impulse, als Resultat mechanischer Schwingungen der Luft, in ein Erlebnis von Klang übersetzt werden und wenn Klang etwas ist, was sich nur im Geist, im Bewusstsein abspielt, also etwas, das sich qualitativ von mechanischer Luftschwingung unterscheidet, dann drängt sich doch der Schluss auf, dass die Welt an sich tatsächlich still ist.
In den Worten des Pyrrhoneers wäre also folgende Aussage der ersten ebenbürtig:
Es scheint so, als ob die Welt nicht von Klängen erfüllt sei.
Ähnliche Überlegungen sind für das Sehen, das Riechen, das Schmecken und das Tasten denkbar: Allen gemeinsam ist die Weiterleitung des äußeren Reizes über eine biochemische Reaktion und elektrische Impulse bis ans Gehirn. Es scheint also auch hier so, als ob die Welt von Sichtbarem, Riechbarem, Schmeckbarem und Tastbarem erfüllt sei. Denn auch wenn die sinnliche Wahrnehmung als unmittelbar empfunden wird, lässt sich empirisch zeigen, dass der Sinnesreiz immer einen solchen Signalweg mit mehrfachen Übersetzungen geht und also nicht unmittelbar ist. Sinnliche Erfahrung scheint damit nur ein Teil der inneren Vorstellungswelt zu sein. Damit stellt sich allerdings die Frage, ob, und wenn ja, welche Aussagen über die äußere Welt sicher möglich sind. Der Pyrrhoneer würde sagen, dass er sich da nicht festlegen kann, weil er für eine Zustimmung wie für eine Ablehnung in gleicher Weise Argumente sieht, und würde jeden, der sich festlegt, für einen Dogmatiker halten.
Wie soll man dann auf so einer Grundlage überhaupt vernünftig ein Leben führen können, mag man sich berechtigt fragen. Und daher soll die vorliegende Arbeit ergründen, wie sich die pyrrhonische Haltung zu sinnlicher Wahrnehmung auf die Lebenspraxis auswirkt bzw. auswirken kann.
0.1 - Entwicklung systematischen Hinterfragens
Pyrrhon von Elis, so geht die Sage, soll der Auffassung gewesen sein, dass die Entwicklung des Menschen zu einem denkenden, begreifenden und urteilenden Lebewesen kein Gewinn war. Er hält Urteilen für dogmatisch und damit für einen Charakterfehler, gewissermaßen für eine Krankheit für die Menschen. Mit seiner pyrrhonischen Skepsis bietet er eine Heilung an. Daher scheint es im Rahmen dieser Arbeit gerechtfertigt zu sein, die Entwicklung des Menschen zu einem Lebewesen vorauszusetzen, das dank seines Selbstbewusstseins seinen Geist frei entfalten kann, ungeachtet der seit Jahrhunderten andauernden und bis heute noch nicht endgültig gelösten Untersuchungen und Debatten darum. Es wird dann wie folgt angenommen: Aus Empfindungen entstehen Erfahrungen, aus Erfahrungen Gewohnheiten, schließlich Begriffe, Erkenntnisse und Wissen. Dies kann sowohl an der Entwicklung eines jeden menschlichen Individuums im frühesten Kindesalter nachvollzogen werden, wenn das Kind durch das Lernen mehr und mehr begreift, als auch in Grundzügen an der menschlichen Gesellschaft. Bei letzterer äußert es sich analog in immer komplexer werdenden Kulturen mit immer größeren Freiheitsgraden für immer mehr Individuen. In der Antike kam es dadurch vielfach zur Bildung von Hochkulturen in allen Erdteilen, insbesondere in der klassischen Antike auf dem Gebiet des heutigen Griechenlands und der Türkei. In der Zeit von Sokrates, Platon und Aristoteles erlebte diese kulturelle Entwicklung mit der Philosophie einen Höhepunkt systematischen Hinterfragens, ein Nachdenken über das Nachdenken, welches als Skeptizismus durch die Pyrrhoneer radikal auf die Spitze getrieben wurde.
0.2 - Zum Inhalt und Ziel der Arbeit
In den ersten beiden Kapiteln dieser Arbeit wird dargestellt, wie der Pyrrhoneer Dogmen allgemein und insbesondere basierend auf sinnlicher Wahrnehmung infrage stellt. Präziser ausgedrückt: Er findet in seiner Betrachtung der Welt verschiedene konträre, aber ebenbürtige Standpunkte und ihre jeweils guten Begründungen vor, die es ihm als unmöglich erscheinen lassen, eine letzte Entscheidung oder ein Urteil zu fällen; für ihn stellt sich in der Folge Seelenruhe ein. Das dritte Kapitel zeigt auf, wie er aus dieser Seelenruhe heraus, einer von zwei fundamental verschiedenen Lesarten des Pyrrhonismus folgend, sein Leben führen kann: Die urbane erlaubt dem Pyrrhoneer ein Leben wie jedem anderen gewöhnlichen Menschen, denn nur weil er sich nicht in der Lage sieht, zu entscheiden, was richtig und wahr ist, meint er, dass ihn das nicht daran hindert, zu tun und zu glauben, was ihm im jeweiligen Moment und in der jeweiligen Situation als plausibel erscheint. Die rustikale Lesart könnte den Pyrrhoneer in Handlungsunfähigkeit versetzen, weil er meint, dass die Entscheidung für eine Handlung oder eine Überzeugung, selbst wenn er nur der Plausibilität folgt, bereits ein Bruch der Ebenbürtigkeit und damit dogmatisch sein könnte; folglich reagiert er nur unwillkürlich. Was das für seine sinnliche Wahrnehmung bedeutet, also das zentrale Thema dieser Arbeit, wird im vierten Kapitel erörtert. Im fünften Kapitel schließlich wird ein Fazit der Untersuchung gezogen und es werden in einem Ausblick Überlegungen für mögliche Konsequenzen und eine mögliche quantenphysikalische Auflösung angeregt."
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