Misanthropie ist manchmal eine richtige Herausforderung.
Für Mittwoch Abend wurde zum gemeinsamen Essen ins Klimacamp eingeladen, mein Gast war ebenfalls dort. Nach erfrischendem Planschen im Rhein kam ich dort dazu, blieb aber zurückhaltend etwas auf Abstand, um alles zu beobachten, u.a. auch Greta Thunberg, die da etwas unbedarft mit ihren Leuten umherspazierte und sich dann auf die Wiese legte.
Irritiert war ich durch meinen Gast, der noch in seinen 20ern war und aus stabilen norddeutschen Verhältnissen kommt: Beim Essen sorgte er dafür, dass er als erster drankam, nahm sich zwei volle Teller und setzte sich dann unter das einzige Tarp, das etwas Schatten bot. Es gab viele Konferenzteilnehmer:innen, denen man wohl unterstellen konnte, dass sie in ihrer Heimat nicht täglich einen reich gedeckten Tisch haben würden, und es gab mehrere Gastgeber:innen, die, jenseits der 50, vielleicht eher einen Platz unter dem Tarp hätten brauchen können. Und es gab dort am Klimacamp auch viele private Zelte einiger Konferenzteilnehmer:innen, weil nicht ausreichend Gastgeber:innen verfügbar waren. Dass mein Gast also für sich gerne das beste vom besten in Anspruch nehmen wollte und gleichzeitig anderen potentiellen Gästen bei mir dies ausdrücklich lieber nicht zugestehen wollte, also den Komfort nicht teilen wollte, das stieß mir in dem Moment sauer auf, und ich überlegte, ob ich ihm die Gastfreundschaft noch am gleichen Abend, mindestens aber im kommenden Jahr verweigern möchte.
Während sich meine Gedanken solche Wege suchten, beobachtete ich weiterhin die Teilnehmer:innen aus verschiedenen Kulturen und sah vor allem die mit teils patriarchalen Darstellungen zB in Mode, im Auftreten, im Gehabe, und meine Misanthropie wuchs.
Während ich mich da weiterhin aufhielt, beobachtend, gingen Leute an mir vorbei als wäre ich Luft. Nur eine Bekannte kam auf mich zu, wechselte kurz zwei Sätze und ließ mich dann wieder hilflos hängen.
Darüber hinaus waren mehrere Pro-Pali-Symbole präsent.
Viele Menschen dort, so mein Eindruck, verbringen viel Zeit vor allem sich selbst zu profilieren, sich zu verbinden und wirken ansonsten wenig in der Lage, außer vielen Worten wirklich etwas zu bewirken.
Ich bin Beobachter geblieben und irgendwann einfach wieder gegangen, enttäuscht im Allgemeinen und im Besonderen von mir selbst.
Denn ich möchte nicht wie ein konservativer Boomer klingen.
Mein Gast, ja, der hat mich weiterhin irritiert und das betrifft zunächst nur ihn individuell.
Was die Kulturdinge angeht, äußert sich da mein Kultur-Chauvinismus. Dass ich kurze Zeit zuvor mehr als einen Übergriff von Männern an Frauen anderer Kulturen gesehen hatte, darf nicht Vorurteile triggern.
Dass man mich bei ziemlich abweisender innerer Haltung in Ruhe lässt, kann auch als rücksichtsvoll mir gegenüber interpretiert werden, sollte ansonsten aber wenig überraschend sein.
Für Palästina Partei zu ergreifen ist eine legitime Position in Meinungsfreiheit. Dass ich mich mal wieder viel damit in Debatten online auseinandergesetzt habe, tut dem keinen Abbruch.
Sich zu profilieren ist wahrscheinlich natürliches menschliches Verhalten - manche schreiben zu diesem Zweck einen Blog. Sich zu verbinden ist sogar ein sehr starker menschlicher Verhaltenszug - dass ich dort so allein verloren ohne Verbindung blieb schmerzte mich und verstärkte aus Trotz meine Misanthropie. Menschen müssen nicht auf individueller Ebene stark sein - die Stärke der Menschen ist Kooperation, auch wenn ein misanthropischer Einzelgänger davon nicht viel kennen und verstehen mag. Und in Worten kann man bereits einiges erreichen - manche versuchen dies mit einem Blog. Letztlich war ich derjenige, der ohne eine Sache oder auch nur einen anderen Menschen in innerliche Bewegung versetzt zu haben unglücklich aus der Situation floh.
Vielleicht sollte ich ja wirklich mal weinen...
Ich gehe schon seit einigen Jahren ziemlich ins Gericht mit Männern, die offensichtlich nicht gut klarkommen mit sich und der Welt, sei es, weil sie rücksichtslos im Straßenverkehr sind, sei es, weil sie sich anderweitig rüpelhaft verhalten. Ich spielte früher gerne darauf an, dass dieses Verhalten Kompensation für zu kleine Fortpflanzungsorgane sei, und machte mich vor allem darüber lustig, dann äußerte ich vor allem meinen Ärger, heute hingegen bin ich eher mitleidig, wenn ich sie auffordere, hörbar oder nicht, in Therapie zu gehen.
Nun dachte ich, vielleicht müsste ich selbst in Therapie gehen.
...oder endlich das verändern, was ich anders sehen möchte.
Danach saß ich einige Zeit auf dem Münsterplatz, beobachtete die Passanten, denn die Eltern meines ehemaligen Langzeitgastes wollten ihn erneut sprechen, diesmal wegen dringender Bankangelegenheiten. Ihn sah ich nicht, dafür aber Schwalben am Himmel der untergehenden Abendsonne und viele Menschen, die fröhlich, mindestens zufrieden wirkten, wenn sie zu mehreren unterwegs waren und eher bedrückt, wenn sie allein ihre Wege gingen. Und ich starrte wieder wie ein Creep unzähligen Frauen hinterher - wie es scheint, bin ich wohl jemand, der sich nach Kontakten verzehrt.
Ich kenne das Weitere: Aus empfundener Zurückweisung wird empfundenes Ungeliebtsein, völlig verdient für jemanden, der ohnehin kaum etwas nützt oder bewirkt - wir waren da schon oft und kennen uns da aus, da kommen wir wieder heraus, mindestens, wenn wir dem Gefühl analytisch begegnen.
Der Abend allein war es aber gar nicht, der mich in diese Lage gebracht hat, auch nicht die Social-Media-Plattformen an sich, wenngleich eine politische Frustration dazu beigetragen hat. Hinzu kam die Ankündigung einer Mieterhöhung, die zwar an sich nicht so schlimm für mich individuell ist, aber politisch zur Ohnmacht passt, Profitinteressen Einzelner, die uns allen schaden, aufhalten zu können - Marc-Uwe Kling lässt sein Känguru folgendes dazu sagen: "Progressive Politik, die sich für soziale Gerechtigkeit und die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen einsetzt, muss zwingend Reichtum umverteilen und unsere Ökonomie umbauen, was eigentlich mehrheitsfähig sein sollte, da es eindeutig dem Wohl der Mehrheit dient, jedoch kommen die konkreten Maßnahmen stets den Profitinteressen einiger sehr mächtiger Akteure im In- und Ausland in die Quere, die deshalb seit Jahrzehnten, was sage ich, seit Jahrhunderten, selbst und mithilfe ihrer Interessenvertreter, damit meine ich liberale oder rechte Parteien, Medienkonzerne, Social-Media-Plattformen, Think Tanks, Lobbyvereine und Astroturf-Bewegungen, Front gegen diese Politik machen und in diesem Kampf nicht davor zurückschrecken rassistische, sexistische und sozialdarwinistische Ressentiments zu schüren, um die Wählerinnen und Wähler auf Irrwege zu führen, die der Allgemeinheit schaden, aber die Profitinteressen der Wenigen schützen." Und dann sah ich am Tag zuvor den Film "das Gesetz in seiner Hand", der auch die politische Ohnmacht triggerte, allerdings in anderer Richtung, und ich las ziemlich ausführlich in Prozessakten über sexuellen Missbrauch in Fällen, bei denen mit teils Täter, teils Opfer, teils sogar beide entfernt bekannt waren - soviel zur Vorgeschichte.
All die Wolken waren im Nu wieder verzogen, nun ja, zumindest größtenteils, vordergründig, als ich kurz darauf einen verlassenen Laptop in der Stadt fand, Kontaktdaten des Eigentümers ausfindig machen, ihn ihm schließlich aushändigen und seine Frage nach Finderlohn ausschlagen konnte. Ein klein wenig kam mir da das Gefühl, das Amelie im Film hatte, nachdem sie den blinden Bettler durch die Straßen geführt hatte. Und im Nachhall erinnerte mich das an das erwähnte, noch nicht gelesene Glasperlenspiel, das ich doch unter meinen Büchern gefunden habe. Es gab gar keinen Grund, sich ohnmächtig oder düster zu fühlen, außer aus mir selbst. Die Welt und die Menschen hingegen können sehr heilsam sein, wenn man sich ihnen öffnet, vielleicht nicht immer genau so wie man es erwartet.
Mit diesem positiven Gefühl ging ich nach Hause, erwägte noch containern zu gehen, fand auch ein paar Dinge, und beschloss, mich von meinem etwas undankbaren Gast nur wenig beeindrucken zu lassen, ihn vielleicht sogar nächstes Jahr wieder aufzunehmen, immerhin war er meist freundlich und interessiert und engagiert sich für relevante Themen.
Im weiteren Verlauf der Woche geschah nicht mehr viel. Ich telefonierte Montag mit dem Menschen am Bodensee, war aber krank und nutzte und brauchte den Dienstag fast vollständig zur Genesung, den Mittwoch teils auch. Meine Routinen versäumte ich weitestgehend, mit der Musik kam ich nicht weit, mit meinem Kind verbrachte ich ab Freitag ein schönes Wochenende, bekam Samstag am Rhein einen Sonnenbrand und war Sonntag mit Kind im Freibad, nachdem mein ehemaliger Langzeitgast wieder kam, um Sachen zu wechseln, und direkt meine Dusche mit meinen Utensilien und ebenfalls ohne Rücksprache auch meine Waschmaschine nutzte.
Soweit...
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